Neuer Wohnungsmarktbericht: Berlin infiziert Umland

Bausenatorin Lompscher und IBB haben den Wohnungsmarktbericht 2019 vorgestellt. Mieten steigen stärker in Außenbezirken und im Umland.

Wird man bald auch in Frankfurt (Oder) geschröpft werden? Foto: dpa

In Krisenzeiten scheint es auch beruhigende Nachrichten zu geben. Wer sich in der derzeitigen häuslichen Abgeschiedenheit beengt vorkommt, muss bei einem Umzug nach der Coronokrise keine exorbitanten Mietsteigerungen erwarten. Dies zumindest legt der Trend nahe, der bei den sogenannten Angebotsmieten derzeit anhält. Nachdem diese im Jahr 2018 durchschnittlich bei 10,32 Euro pro Quadratmeter lagen, liegen sie 2019 bei nunmehr 10,45 Euro. Eine „Verschnaufpause“ nennt das der Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin IBB, den am Mittwoch Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) und der IBB-Vorstandsvorsitzende Jürgen Allerkamp auf einer Videokonferenz vorstellten.

Der Marktbericht, den der Senat und die landeseigene Bank schon seit 16 Jahren gemeinsam herausgeben, hält aber auch weniger beruhigende Nachrichten parat – und dabei ist die Coronakrise noch nicht einmal eingepreist. So mussten 40 Prozent der Berliner Haushalte für ihre Bruttokaltmiete, also die Kaltmiete inklusive der Betriebskosten, im vergangenen Jahr mehr als 30 Prozent des verfügbaren Nettoeinkommens ausgeben.

Knapp 10 Prozent der Einpersonenhaushalte mussten sogar die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aufwenden. Das ergab eine gesonderte Datenerhebung aus dem Mikrozensus 2018 unter dem Titel „Wie wohnt Berlin?“. „Damit Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen durch diese Entwicklung nicht verdrängt werden“, versuchte Bausenatorin Lompscher zu beruhigen, „hat Berlin den Milieuschutz stark ausgebaut und das Gesetz zur Einführung eines Mietendeckels beschlossen.“

Deckel erst 2021 messbar

Im Wohnungsmarktbericht 2019 hat die IBB erstmals Berlin mit Hamburg, München, Köln und Leipzig verglichen. Beim Bevölkerungswachstum zwischen 2014 und 2018 hat eindeutig Leipzig mit 8 Prozent die Nase vorn. Es folgen Berlin (5,0), Hamburg (4,4), Köln (3,7) und München (2,9).

Beim Neubau dagegen liegt München vorne. Dort wurden 2018 5,8 Wohnungen je 1.000 Bewohner gebaut. Dieser Maßstab wurde gewählt, um die Städte jenseits ihrer Einwohnerzahl miteinander vergleichen zu können. Es folgen Hamburg (5,3), Berlin (3,9), Leipzig (3,3) und Köln (3,1). (wera)

Die Auswirkungen des Mietendeckels würden sich jedoch erst im Wohnungsmarktbericht 2020 feststellen lassen. Aber schon der Bericht 2019 zeige, so Lompscher, „wie notwendig die wohnungspolitischen Maßnahmen des Senats für alle Berlinerinnen und Berliner sind“.

Zu den Schwerpunkten der Datenauswertung durch das Büro RegioKontext gehören jedes Jahr auch die Wanderungsbewegungen. Da ist Berlin vor allem für die 18- bis 30-Jährigen attraktiv, erklärt IBB-Chef Allerkamp. Etwa 80 Prozent der Wanderungsgewinne würden durch diese Gruppe erzielt. „Berlin wird weiter jünger“, stellt Allerkamp fest.

Laut Wohnungsmarktbericht hatte Berlin 2018 (neuere Zahlen gibt es nicht) eine Bevölkerungszahl von 3.644.826 Personen, was den höchsten Wert seit dem Zweiten Weltkrieg darstellt. Allerdings sank das Bevölkerungswachstum, das in den Vorjahren teilweise noch bei jährlich 50.000 Personen gelegen hatte, 2018 auf 31.331 Zuzüge ab.

Ein Grund dafür sind auch die Bevölkerungsverluste an das Umland. Vor allem Ältere und zunehmend Familien mit Kindern ziehen wieder aus Berlin in den Speckgürtel. „Gegenüber dem Umland haben wir einen Verlust von 10.000“, sagt Bausenatorin Lompscher. Das sei aber wenig im Vergleich zu den Verlusten der neunziger Jahre. Bei dieser Suburbanisierungswelle hatte Berlin jährlich bis zu 25.000 Bewohnerinnen und Bewohner verloren.

Der Druck entweicht also langsam aus dem Berliner Kessel und macht sich vor allem entlang der S-Bahn-Trassen in Brandenburg bemerkbar. Dort sei die Bevölkerung von 2014 bis 2018 um 51.645 Personen gestiegen, so der IBB-Bericht. „Dieser Anstieg stand damit für ein prozentual stärkeres Bevölkerungswachstum als in der Hauptstadt“, heißt es.

Verdrängung aus der City

Wachstumskerne sind neben Potsdam (8,6 Prozent Wachstum seit 2014) vor allem die Gemeinden Wustermark (12 Prozent), Schönefeld (11,3 Prozent) und Werneuchen (9,7 Prozent). Bevölkerungsgewinne von 7 bis 8 Prozent zeigten sich aber auch in den Gemeinden Brieselang, Werder, Oberkrämer, Blankenfelde-Mahlow, Ludwigsfelde und Dallgow-Döberitz.

Dieser Boom im Umland spiegelt sich auch bei den Mieten wider. Die Angebotsmieten im Speckgürtel wuchsen 2019 sogar noch stärker als in Berlin. Sie betragen nun im Schnitt 9,47 Euro pro Quadratmeter. Von „Verschnaufpause“ kann also in den genannten Gemeinden, aber auch in Bernau oder Erkner keine Rede sein.

Wanderungsbewegungen gibt es auch innerhalb von Berlin. Diese sind gleichzeitig ein Indikator für die Verdrängung aus der Innenstadt in die Außenbezirke. Die größten Verluste beim sogenannten Binnenwanderungssaldo, also den Zu- und Fortzügen innerhalb der Bezirke, haben Mitte (–25.320), Friedrichshain-Kreuzberg (–17.940) und Tempelhof-Schöneberg (–12.549) zu verzeichnen. Aus diesen Bezirken zogen also, unabhängig von den Zuzügen aus den alten und neuen Bundesländern sowie dem Ausland, die meisten Berlinerinnen und Berliner weg.

Dort, wo sie hinziehen, ergibt sich naturgemäß ein positiver Binnenwanderungssaldo. Ganz vorne liegen dabei Treptow-Köpenick (+16.200), Marzahn-Hellersdorf (+14.842), Lichtenberg (+10.741) und Reinickendorf (+8.332).

Aber all diese Trends, die der IBB-Bericht gegenüber den Vorjahren fortschreibt, sind wohl nichts gegen das, was Berlin im kommenden Jahr erwartet, dem Jahr nach der Coronakrise. „Das ist die Eine-Million-Euro-Frage“, sagt Katrin Lompscher zu möglichen Prognosen. „Man sollte sich da mit Spekulationen zurückhalten.“ Aber absehbar sei jetzt schon, dass es eine Delle in der Bautätigkeit geben werde. „Wir können nur hoffen, dass sich das nicht allzu lange hinzieht.“

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