„Unendlich viel Solidarität“

Wie Land und Berliner*innen Kreativen und Kultur helfen können, erklärt der Grüne Daniel Wesener

Foto: Die Grünen Berlin

Daniel Wesener,

45, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus und Sprecher für Kultur und Haushalt.

Interview Bert Schulz

taz: Herr Wesener, Angela Merkel hat vergangene Woche von der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gesprochen. Gilt das auch für die Kultur in Berlin?

Daniel Wesener: Viele Menschen fürchten um ihre Existenz. Die meisten Kreativen haben schon in den vergangenen Tagen gar kein Einkommen mehr gehabt. Und es sieht nicht so aus, als ändere sich daran etwas in den kommenden Wochen – vielleicht sogar Monaten.

Wie viele Menschen in Berlin sind vom Lockdown des Kulturbetriebs betroffen?

Ich rechne mit mindestens 200.000. Hier gibt es verglichen mit anderen Bundesländern besonders viele Freiberufler. Berlin ist auch die Hauptstadt der Solo-Selbstständigen ….

… Ein-Personen-Firmen …

… und von denen arbeiten im Kulturbereich auch in normalen Zeiten etwa 80 Prozent unter prekären Bedingungen.

Der Senat will helfen. Was gilt da nun?

Der Senat hat vergangene Woche zwei Hilfsprogramme im Umfang von insgesamt bis zu 600 Millionen Euro beschlossen. Die eine Säule sind Liquiditätshilfen, also Krediterleichterungen, für kleine und mittlere Unternehmen, auch in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Die zweite mit ebenfalls 300 Millionen Euro sind Soforthilfen für Solo-Selbstständige und Kleinstbetriebe mit bis zu fünf Beschäftigten. Die können in einem ersten Schritt 5.000 Euro beantragen – aber nach einigen Monaten auch einen erneuten Antrag stellen.

Sind das Darlehen?

Die Mittel der ersten Säule sind Darlehen, die Soforthilfe II ist ein Zuschuss, also – wenn man so will – cash.

Wo können diese Hilfen beantragt werden?

Manches ist bisher nur angekündigt. Erst wenn die Ausführungsvorschriften oder Richtlinien fertig sind und die Antragsformulare vorliegen, weiß man, wie das Ganze genau funktioniert. Daran wird mit Hochdruck gearbeitet. Ich mache mir allerdings Sorgen, dass wir damit nicht alle erreichen werden, die wir erreichen wollen.

Wieso nicht?

Wir haben das Problem, dass Betroffene erst einmal verpflichtet sind, auf „normale“ staatliche Hilfen zurückzugreifen. Es kann also sein, dass Kulturschaffende zunächst klären müssen, ob sie grundsicherungsberechtigt sind. Damit stellt sich die nächste Frage, nämlich wie sich das zu der geplanten Soforthilfe verhält. Wenn sich dann später herausstellen sollte, dass Einzelne gar nicht anspruchsberechtigt waren, kann man den Zuschuss zum Beispiel immer noch in einen zinslosen Kredit umwandeln.

Was heißt schleunigst?

Ich erwarte, dass noch in dieser Woche die wesentlichen Details geklärt werden: Wer kann wo und wie einen Antrag stellen und wann kommt das Geld.

Angesichts der unklaren zeitlichen Perspektive sind 5.000 Euro nicht viel. Wird da noch mehr kommen?

Es wird weitere Hilfen vom Land, vor allem auch vom Bund geben müssen. Und ich plädiere dafür, ein eigenes Programm nur für Kulturschaffende und Kreative zu schnüren, wie es etwa Hamburg angekündigt hat. Und wir müssen überlegen, wie wir die Verluste der landeseigenen Kulturbetriebe – etwa der öffentlichen Theater und Museen – ausgleichen. Ihnen fehlen durch ausbleibende Eintrittsgelder jeden Monat rund 15 Millionen Euro.

Kommt das Geld dafür aus dem Landeshaushalt?

Das ist möglich. Wir werden dieses Jahr über mindestens einen Nachtragshaushalt reden müssen, spätestens wenn die Zahlen der Steuerschätzung im Mai vorliegen. Und dann wird man die Ausnahmeregelungen von der Schuldenbremse, die auch für Berlin dieses Jahr in Kraft getreten ist, aktivieren müssen. Ich gehe fest davon aus, dass auch das Abgeordnetenhaus davon Gebrauch machen wird.

Was können denn Menschen, die Kultur vor allem konsumieren, jetzt tun, um die Szene zu unterstützen?

Das Großartige an der Kulturszene ist, dass sie sich auch in solchen Zeiten äußerst kreativ zeigt. Es gibt unendlich viel Solidarität untereinander und etliche smarte öffentliche Kampagnen. Gäste werden etwa gebeten, bereits gekaufte Tickets nicht zurückzugeben, wenn sie das Geld nicht selbst dringend brauchen.