Mein Karma als Käsebrötchen

Manifest einer globalen Arbeitsnomadin und passionierten Billigfliegerin

VON SUSANNE FENGLER

Ich bin passionierte Billigfliegerin. Es mag bestimmte Milieus in unserer Spaßgesellschaft geben, in denen man sich unbefangen zum Billigfliegen bekennen kann; in anderen fällt es leichter, offen darüber zu sprechen, dass man Mundgeruch hat. Ich hoffe dennoch, dass mindestens drei Menschen weiterlesen werden. Diese Menschen heißen Klaus Wowereit, Ulrich Beck und Peter Hauptvogel.

Fangen wir mit Wowereit an. Sehr geehrter Herr Bürgermeister: Hiermit beantragte ich zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Umbenennung Berlins in Berlinchen. Seit wenigen Wochen ist Berlin nun die offizielle Hauptstadt der Billigflieger Europas. 3,5 Millionen Passagiere auf Low-Cost-Airlines allein zwischen Januar und Juni dieses Jahres: Nur die Briten schafften mehr. Wenn Sie sich zudem noch bereit fänden, bei der Arbeit orangefarbene Anzüge zu tragen, wäre die Corporate Identity mit Easy Jet perfekt, und vielleicht würde ja auch das Regieren dann irgendwie leichter, luftiger werden: Easy Governance.

Soziologie des Billigfliegers

Zweitens eine Anregung für Professor Beck, überhaupt all die begabtesten Gesellschaftswissenschaftler Europas, sich endlich einer „Soziologie des Billigfliegers“ zu widmen. Angesichts der Massenhaftigkeit des Phänomens, der Allgegenwart der Billigfluggesellschaft, ist es dringend an der Zeit, die feinen Unterschiede zwischen HLX und DBA, zwischen Germania und Germanwings herauszuarbeiten.

Drittens eine verzweifelte Botschaft an Peter Hauptvogel, den Hauptsprecher von Air Berlin: Ich möchte andere Käsebrötchen. Bitte! Ich habe im vergangenen Jahr fünfhundert Air-Berlin-Käsebrötchen an Bord des Flugzeugs Berlin–Zürich beziehungsweise Zürich–Berlin gegessen. ICH KANN NICHT MEHR! Gewiss: Eigentlich müsste ich auf dem grauen Kabinenteppich zu Kreuze kriechen und den Stewardessen auf Knien danken, dass es überhaupt Gratisbrötchen einschließlich Gratisgetränk und Gratisbonbon gibt. Denn falls Sie es noch nicht wissen (Soziologen aufgepasst): Air Berlin ist eine First Class Low Cost Airline.

Trotzdem sehne ich mich nach nichts mehr als nach einem Wechsel der Käsemarke. Camembert statt Gouda: Mehr will ich doch gar nicht vom Leben. Manchmal tausche ich mit anderen Veteranen des Billigflugs Erinnerungen an jenen legendären Tag vor rund einem Jahr aus, an dem es statt der üblichen feuchten Laugenbrötchen mit Goudabelag pikante Dreiecke aus feurigem Tomatenbrot gab. Wahrscheinlich ein Streik beim Zulieferer, ein Notkauf beim Caterer von Singapore Airlines; aber seitdem bin ich angefixt. Jedes Mal, wenn der Servierwagen an mir vorbeirollt, hoffe ich auf ein Wunder. Sie werden es nicht glauben, aber ich habe tatsächlich schon Passagiere getroffen, die sich ebenso wie ich noch lebhaft an diesen Jubeltag erinnern konnten. Ich bin also ein alter Hase der neuen Ära des Luftverkehrs. Was nicht daran liegt, dass ich mir häufiger „mal eben“ neue Schuhe in Budapest machen lasse oder so wahnsinnig gern nach Madrid reise, der „Paella inklusive“ wegen. Es ist vielmehr so, dass ich zugleich zu einer neuen Klasse globaler Arbeitsnomaden gehöre: Den Billigflug-Pendlern. Den Lidls unter den Globetrottern.

Berlin goes Zürich

Zugegeben: Das beißt sich mit dem elitären Eindruck, der entstehen mag, wenn man beispielsweise aufmerksamer Leser der FAZ ist. War dort doch neulich schon wieder von der Abwanderung der mobilen deutschen „Elite“ ins Ausland die Rede. Im ersten Moment denke ich bei solchen Wendungen immer an deutsche Genforscher, die nach Korea gehen, um zu klonen, was das Zeug hält. An Unternehmensberater. Investmentbanker. Mag alles sein. Doch die Realität sieht anders aus. Die Realität ist auf der Strecke Berlin–Zürich. An Bord finden Sie: Krankenschwestern. Manchmal ist schier das ganze Flugzeug voller Krankenschwestern, die vor dem deutschen Krankenhausnotstand in die Spitäler von Bern und Basel geflüchtet sind. Sie finden Vertreter für Klassik-CDs. Professorinnen für Ethnologie. Ingenieurs-Ich-AGs, die winzige Bauteile an ausländische Eisenbahnen verkaufen. Mir fällt es selbst schwer, daran zu glauben, aber vielleicht sind wir tatsächlich diejenigen, deren Abwanderung die FAZ so fürchtet.

Fest steht, was wir nicht sind: Kandidaten für die Lufthansa Business Class. Unsere besser bezahlten Jobs im Ausland können wir nur deshalb annehmen, weil man „schon ab 29 Euro in Europas schönste Städte“ fliegen kann. Senator werden wir also allenfalls, wenn wir uns doch noch entscheiden, die politische Ochsentour einzuschlagen. Wir haben keine Lounge und keine Lobby; regelmäßig prügeln Ökologen auf uns herum. Dass wir schuld sind, wenn die Gletscher abschmelzen etc. pp. Liebe Leute: Ist ja nicht so, dass wir zum Vergnügen fliegen!

Profiteur und Prügelknabe

Dass wir Profiteure und Prügelknaben der postmodernen Gesellschaft zugleich sind, fördert den Zusammenhalt unserer verschworenen Gemeinschaft. Wir mögen uns; wir wissen, wer wann welche Strecken fliegt. Wir nicken uns zu und freuen uns über jedes Wiedersehen. Nur zweimal im Jahr werden wir zu erbitterten Konkurrenten, und zwar an demjenigen Tag im Mai sowie im November, an dem der Flugplan für die jeweils kommende Flugsaison im Netz steht. Es ist fast wie bei eBay: Die Schnellsten von uns schnappen den anderen dann schon im Mai 2005 alle 15-Euro-Flüge in der Montagmorgen-Maschine bis Februar 2006 weg.

Doch schon auf dem nächsten Flug können wir uns wieder mit professioneller Freundlichkeit begegnen. Ich habe alte Freunde verloren und neue Freunde gewonnen. Steffi und Norman habe ich beispielsweise schon ewig nicht mehr gesehen, keine Zeit; dafür kenne ich die Frau, die bei Schokolade Sprüngli auf dem Flughafen Zürich bedient, persönlich, und der Kassierer im Lebensmittelshop in Tegel ruft mir manchmal schon von weitem zu: Heute keene Buttermilch?

Das Herz des globalen Nomaden

Es wundert mich nicht, dass ausgerechnet Berlin die Hauptstadt der Billigflieger ist, denn nirgendwo sonst gibt es so viele gut ausgebildete Leute und so wenig qualifizierte Jobs. Was also tun, wenn deutsche Unis so marode sind, dass man schon als Doktorand besser von Bielefeld nach Luzern ausweicht? Und warum die Heimat aufgeben, an der das Herz des globalen Nomaden dann doch hängt? Die Option des Billigflugs befördert den Spagat zwischen zwei Städten, erspart die Last der Entscheidung, zwischen Zürich beispielsweise – einer erwachsenen Stadt, wo man Geld verdient und wo man niemals auf die Idee käme, den Flughafen zum Billigflieger-Hub zu machen – und unserem herrlich pubertären Berlinchen.

Die Billigfluglinie bringt uns in ein gelobtes Land, in dem Gewerkschaften einen Mindestlohn von umgerechnet 2.000 Euro fordern und der Blick, das Schweizer Pendant zur Bild-Zeitung, beispielsweise das übliche Air-Berlin-Stewardessen-Gehalt von 2.900 Franken verächtlich als „Hungerlohn“ bezeichnet hat. Noch Fragen?

Stinktiere zum Liebhaben

In Andermatt haben sie unlängst einen Gletscher mit einer Art Frischhaltefolie abgedeckt, zum Schutz vor Sonnenstrahlen und Treibhausgasen. Seitdem ich das weiß, beschleicht mich manchmal die Furcht, zur Strafe für all die Billigflugmeilen in meinem nächsten Leben als Stinktier auf dem Flughafen Zürich wiedergeboren zu werden. Ich komme darauf, weil der erste Shop, auf dem man in Zürich nach dem Einchecken stößt, neuerdings Stinktiere im Angebot hat: Mechanische Stinktiere, die batteriebetrieben vorwärts krauchen. Innehalten. Mit dem Schwanz wedeln. Dann wieder vorwärts krauchen. Innehalten. Und so weiter. Bislang gab es nur Schweine, die abwechselnd krauchten und rüffelten.

Schweizer sind smarte Geschäftsleute; weil sie wissen, wie man uns, die wir ja unter der Woche keinen haben zum Liebhaben, ködert, platzieren sie freitags abends die Schweine und Stinktiere mitten in freier Wildbahn, direkt auf dem Weg, den wir alle zur Passkontrolle laufen müssen. Gerührt stolpern wir dort über das röchelnde Vieh. Sich fortbewegen, bis die Batterie alle ist: Sind wir diesen zuckenden Tierchen nicht wesensverwandt? Bedenklich ist: Sie kosten 50 Franken. Bedenklicher noch: Es werden Woche für Woche mehr. Womöglich sind es die Seelen anderer beruflicher Billigflieger, die vor uns in den kerosingetränkten Himmel davongegangen sind; wer weiß das schon? Vielleicht werde ich allerdings auch als Käsebrötchen wiedergeboren.

Susanne Fengler, 33, ist Autorin und Kommunikationswissenschaftlerin, zuletzt erschien von ihr der Roman „Fräulein Schröder“ über den politischen Betrieb der Hauptstadt. Seit 2004 pendelt sie nach Zürich, wo sie an der Universität zu Medienfragen forscht. Ihr aktueller Meilen-Kontostand beläuft sich auf 58.000.