„Daily Telegraph“ vor Verkauf: Zoff um Johnsons Hausblatt

Das erzkonservative Blatt steckt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die adligen Eigentümer sind zerstritten.

Boris Johnson mit zersauster Frisur

Den „Daily Telegraph“ nach unten geschrieben: Premier Boris Johnson Foto: Frank Augstein/ap

BERLIN taz | Großbritanniens Brexit-Premier Boris Johnson sieht sich ja als eine Art ­Winston Churchill in Blond. Sogar eine Biografie hat er über seinen Helden geschrieben. Die handelte mehr von ihm selber und wurde von der historischen Zunft nicht ernst genommen. Bei Johnson reicht es eben nicht für Churchill. Sondern nur für Margaret Thatcher. Jetzt veröffentlichte Papiere aus ihrem Nachlass sollen belegen, dass ein Artikel eines jungen EU-Korrespondenten des stockkonservativen Daily Telegraph im Jahr 1990 ihre legendäre „No, no, no“-Rede gegen die EU inspiriert habe. Der Name des jungen Mannes? Boris Johnson.

Von 1989 bis 1994 verbreitete der heutige Premier Nachrichten und Halbwahrheiten über die Krake Europa und ihre Machenschaften. Und allen Euroskeptiker*innen im angeblich um seine Souveränität beraubten Königreich wurde warm ums Herz. Für Thatcher erwies sich die Nummer ihres Herzchens Boris als Bumerang: Außenminister Geoffrey Howe trat wegen ihrer antieuropäischen Brachial­politik zurück, Thatcher verlor den Rückhalt. Und musste Ende November 1990 selbst die Handtasche nehmen.

Genauso wenig segensreich entpuppt sich dieser Tage auch Boris Johnsons zweites Engagement beim Daily Telegraph. Hier hatte Johnson gleich nach seinem Rücktritt als Außenminister 2018 eine wöchentliche Kolumne bekommen, für stolze 275.000 Pfund (rund 316.000 Euro) Jahreshonorar. Jeden Montag schrieb er bis zum Amtsantritt als Premier und schaffte es mit seiner Kolumne fast immer auf die Titelseite. Auch heute hält ihm das Blatt auf Biegen und Brechen die Treue, so dass der bislang als „Torygraph“ bespöttelte Titel jetzt einen neuen Spitznamen hat: „Daily Boris“.

Auflage und Ansehen bekommt das allerdings so gar nicht. Das einstige Millionenblatt druckte Ende 2019 nur noch 315.000 Exemplare und kehrte Anfang des Jahres prompt der offiziellen Auflagenkontrolle den Rücken. Der Gewinn war laut der letzten Zahlen um 94 Prozent auf unter eine Million Pfund eingebrochen. Und nun wollen die Besitzer den Telegraph verkaufen.

Eigentümer sind die geadelten Zwillingsbrüder Sir Frederick und David Barclay, zwei der reichsten Männer Großbritanniens. Normalerweise üben sich die Barclays in höchster Zurückhaltung. Interviews gibt es keine, Klatschgeschichten noch viel weniger. Doch weil nun der einstmals so stolze Telegraph nichts mehr wert zu sein droht, ist eine Familienfehde entbrannt.

Und weil man sich mittlerweile gerichtlich streitet, werden pikante Details bekannt. Bisheriger Höhepunkt: Einer von Sir Davids Söhnen soll das Ritz verwanzt haben, um den Onkel Frederick Barclay abzuhören. Zu schade, dass Kolumnist Boris J., der ja gerne mal auf anderer Leute Kosten in Luxusherbergen absteigt, nicht mehr drüber schreiben kann.

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2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"

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