Mit Rückenwind vor den Kadi

Die Wahl in Israel war vor allem eine Abstimmung über Benjamin Netanjahu. Dem amtierenden Premier, der in Kürze wegen Korruption vor Gericht erscheinen muss, haben die Wähler*innen den Rücken gestärkt

Aus Tel Aviv Judith Poppe

Erst ein Bruchteil der Stimmen war ausgezählt, da beeilte sich Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schon, von einem „gewaltigen Sieg“ zu sprechen. Mit jeder weiteren Hochrechnung – am Dienstagnachmittag waren 90 Prozent der Stimmen ausgezählt – wurde klar, dass er zumindest teilweise recht hatte: Seine Likud-Partei hat gegen das Wahlbündnis Blau-Weiß seines Herausforderers Benny Gantz gesiegt; die absolute Mehrheit im Parlament aber hat sein rechtsreligiöses Lager offenbar verfehlt.

Für den Likud wurden am Dienstagnachmittag 36 Sitze prognostiziert, also vier mehr als bei der letzten Wahl im September. Für eine absolute Mehrheit fehlen Netanjahus Lager damit aber immer noch zwei Sitze. Das Parteienbündnis Blau-Weiß verlor im Vergleich zu September einen Sitz und erhielt 32 Sitze. Mit voraussichtlich 15 Sitzen drittstärkste Fraktion wurde wie auch im September die Vereinigte Liste, die hauptsächlich aus arabischen Israelis besteht.

Oppositionsführer Gantz drückte seine Enttäuschung über das schlechteste Ergebnis aus, das sein Bündnis in seiner einjährigen Geschichte eingefahren hat. Er warnte, dass „dies nicht das Ergebnis ist, das Israel auf den richtigen Pfad zurückbringen wird“.

Netanjahu wird zunächst wohl versuchen, eine Regierung auf die Beine zu stellen, möglicherweise mithilfe von Überläufer*innen aus der rechten Strömung von Blau-Weiß oder der Partei Gescher. Der israelischen Tageszeitung Haaretz zufolge hat der Likud der Blau-Weiß-Abgeordneten Omer Yankelevich gedroht, Mitschnitte von Gesprächen zu veröffentlichten, sollte sie nicht zum Likud überlaufen.

Die Wahl vom Montag war bereits die dritte binnen eines Jahres. Nach den Wahlen im April und September hatten weder Netanjahus Lager noch Gantz’ Mitte-links-Bündnis eine Mehrheit in der Knesset gewinnen können. Gespräche über eine Einheitsregierung scheiterten. Diesmal hat die Aussicht auf eine vierte Wahl die Wähler*innen wohl in die Wahllokale getrieben und mit 65,5 Prozent für die höchste Wahlbeteiligung seit 1999 gesorgt. Die Wahl wurde von vielen auch als Referendum über Netanjahu betrachtet, denn am 17. März muss der Ministerpräsident vor Gericht erscheinen. Er ist wegen Bestechlichkeit, Untreue und Betrugs angeklagt.

Der Präsident des Israelischen Instituts für Demokratie Yohanan Plesner sprach von einem signifikanten politischen Mandat, das Netanjahu erhalten habe. Gleichzeitig steuere das Land jedoch auf verfassungsrechtliche Unsicherheit zu: „Der Mann, der für die Institutionen von Recht und Ordnung zuständig ist, wird seinen Kampf beginnen, um seinen Namen vor Gericht reinzuwaschen.“ Gad Barzilai, ehemaliger Dekan der Rechtswissenschaft an der Universität Haifa, sagte gegenüber der taz, Netanjahu könnte bis September, wenn die Zeug*innenbefragung beginnt, versuchen, das sogenannte Französische Gesetz durchzubringen. Damit würde der Prozess so lange auf Eis gelegt werden, wie Netanjahu im Amt ist.

Unabhängig davon wurde laut Barzilai am Dienstagmorgen eine Anfrage an den Obersten Gerichtshof eingereicht, die das Gericht auffordert zu entscheiden, ob Netanjahu als Angeklagter überhaupt mit der Regierungsbildung beauftragt werden kann. Die Entscheidung wird in etwa einer Woche erwartet.

Die Anklage gegen Netanjahu steht wie schon nach den letzten Wahlen einer Einheitsregierung von Blau-Weiß und Likud im Wege. Blau-Weiß lehnt es ab, in eine Koalition unter einem wegen Korruptionsverdachts angeklagten Ministerpräsidenten einzutreten, und Netanjahu wird angesichts seiner legalen Schwierigkeiten wohl keine andere Führung zulassen, bietet das Ministerpräsidentenamt ihm doch die Chance, den Prozess gegen ihn zumindest hinauszuzögern.

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