Hajo Schiff
Hamburger Kunsträume
: Wie das Virtuelle angesichts des Virus die Realität beraubt

Nein, es ist nicht lustig. Doch man fragt sich, wer das Drehbuch für dieses Szenario geschrieben hat. Und anders als im Film gibt es nach 100 Minuten kein Happy End. Die Kultur, die wie nichts anderes immer noch unterschiedliche Realitäten anbieten kann, ist auf Null gesetzt; die Kunsträume sind geschlossen und werden es wahrscheinlich auch länger bleiben, als zurzeit verkündet.

Und trotz weniger Einladungen zu Einzelgesprächen beginnt der beispiellose Raubzug des Virtuellen an der Realität: Alle Kulturakteure, auch bisherige Skeptiker, suchen ihr Heil nun im Netz der großen Monopole. Nicht nur große Museen bieten gefilmte Rundgänge an, auch kleinere Galerien machen Videos verfügbar oder publizieren wenigstens Bilder elektronisch; hoffnungsvoll auch mit Preisen – aber wer, der nicht Kunst nur als Aktie kauft, hat schon Lust, ein Bild nach seinem Abbild zu erwerben. Die große Gefahr der aktuellen Virtualisierung ist, dass nach der Rückkehr der Normalität (oder dem, was dann dafür erklärt werden wird), niemand mehr das Original, die Live-Stimmung, die vielgestaltigen Qualitäten der Realitäten mehr braucht.

Schlimmer als alle nun drohenden finanziellen Desaster auch im chronisch kurzfristig und oft nur knapp finanzierten Kulturbereich – schätzungsweise auch ein Viertel der Galerien wird eine monatelange Zwangspause nicht überleben – schlimmer als das, wäre die Erfahrung, schlicht gar nicht mehr gebraucht zu werden, wenn die geschätzten Kund*innen sich an den Entzug gewöhnt haben werden.

Es gibt ja sogar innerhalb des Kulturbetriebs große Denker und kleine Motzer, die es begrüßen, dass das große Rauschen der Events verebbt ist und einsame Zeit für existenzielle Gedanken gewonnen werden kann. Doch die Hoffnung bleibt, dass kreative Erfindungen wie Ellenbogen-Check und Balkonkonzerte nicht die einzigen bleiben und dass einst die Lust an realen und gemeinsamen Begegnungen mit Kunst und Kultur wieder erwacht.

Es wäre ein zu großer Verlust, wenn die über Jahrzehnte mühsam aufgebaute Szene trotz möglicher Finanzhilfen dann verschwunden wäre. Leider ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Staat, der nun alles verbietet, irgendwann Kultur im Umkehrzug vorschreiben wird, dass es ein Bußgeld in der Höhe des Preises einer Opernpremierenkarte setzt, wenn jemand nicht nachweisen kann, die Woche mindestens zwei Kulturveranstaltungen besucht zu haben …

Bleiben Sie den Kulturräumen weiterhin gewogen, auch wenn die (und wir) in diesen Zeiten bis auf Weiteres pausieren müssen.