Spitzweg-Bild wird versteigert: Justitia meistbietend zu haben

Carl Spitzwegs Gemälde „Justitia“ kommt in München zur Auktion. Viele Jahre hing das verfolgungsbedingt entzogene Bild im Bundespräsidialamt.

Ausschnitt aus dem Foto der Rückseite Carl Spitzweg

Die „Justitia“ entstand in einem politischen wie gesellschaftlich repressiven Klima Foto: Neumeister/Christian Mitko

Am 25. März kommt im Auktionshaus Neumeister in München Carl Spitzwegs „Justitia“ zum Aufruf. Der Schätzpreis liegt bei 500.000 Euro. Man darf aber davon ausgehen, dass das Bild am Ende zu einem weit höheren Preis weggehen wird.

Schaut man sich das Gemälde genauer an, ist die „Justitia“ ein ziemlich verlottertes Weib. Die Statue der Göttin der Gerechtigkeit, die Spitzweg vor das Gerichtsgebäude platziert hat, weist im unteren Teil eine deutlich erkennbare Bruchlinie aus. „Justitia“ ist also schon mal vom Sockel gefallen.

Dadurch wurde wohl auch die Waagschale demoliert, die sie motivgerecht in Händen hält. Jetzt fehlt die eine Schale, was das Abwägen der Argumente, um den Punkt zu finden, zwischen Recht und Unrecht, eigentlich unmöglich macht. Auch die obligatorische Augenbinde ist verrutscht, so dass sie unter ihr hervorschielen und die Streitgegner durchaus sehen, aber nicht mehr unparteiisch beurteilen kann.

Nur das Schwert, das die Schlagkraft des Rechts symbolisieren soll, aber auch die Bestrafung selbst, scheint in Ordnung. Der Polizeidiener an der Ecke des Gerichtsgebäude, ein Mitglied der Bürgerwehr, wie die Uniform verrät, starrt denn auch den Betrachter sehr direkt und böse an.

Kritik an der Verwahrlosung des Rechtswesens

Das Bild entstand 1857, neun Jahre nach der verlorenen Revolution von 1848, in einem repressiven politischen wie gesellschaftlichen Klima mit Zügen eines Polizeistaats. Spitzweg übte mit seiner etwas abgerissenen „Justitia“ also Kritik an der Verwahrlosung des Rechtswesens.

Die von Katrin Stoll herausgegebene Dokumentation zu Provenienz und Restitutionsgeschichte von Carl Spitzwegs „Justitia“ beinhaltet auch eine Untersuchung ihrer Rezeption aus heutiger kulturhistorischer Sicht, sie fragt nach ihrer Modernität und nach ihrem Stellenwert als Ikone der deutschen Malerei. Sie erschient im März bei Neumeister auf Deutsch und Englisch und kostet 20,00 Euro

Keiner der Herren, der sie von 1961 bis 2007 in seinen Räumen beherbergte, scheint das Gemälde aber jemals genauer angeschaut und über seine Aussage nachgedacht zu haben. Denn sonst wären die Dinge wohl etwas anders gelaufen. Schließlich war die „Justitia“ auf erkennbar problematischen Wegen zu ihnen gelangt.

Konkret wurde das Gemälde aus dem im alliierten Central Collecting Point in München zusammengetragenen Kunstbeständen des Führermuseums Linz als „Bild unbekannter Herkunft“ 1949 an den deutsche Staat, genauer den Bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard übergeben. 1961 forderte dann das Bundespräsidialamt das Kunstwerk an, um die eigenen Amtsräume damit zu schmücken.

Dort hing es, bis Bundespräsident Horst Köhler 2006 mit der Rückgabeforderung der Erben von Leo Bendel konfrontiert wurde. Er hatte zwei Spitzwegs besessen, das war die Überlieferung in der Verwandtschaft des Berliner Kaufmanns. Sonst wussten sie nichts von ihm. Sie beauftragten deshalb Monika Tatzkow, Expertin in Sachen offene Vermögensfragen und speziell NS-Raubkunst, mit Nachforschungen.

Die Spur führte nach Wien und dann nach Buchenwald

Tatzkow konnte die Spur von Leo Bendel und seiner Ehefrau Else aufnehmen, die nach Wien führte, wo die beiden hofften Frieden vor den Repressionen der Nationalsozialisten zu finden; wo Leo Bendel aber nach dem Anschluss Österreichs als sogenannter Ostjude zu den ersten Deportierten gehörte und im März 1940 im KZ Buchenwald starb. Seine Witwe, eine evangelische Gastwirtstochter, starb 1957 völlig verarmt in Wien. Ihre Anträge auf Wiedergutmachung in Österreich und Deutschland wurden abgelehnt respektive bis zu ihrem Tod nicht entschieden.

Seine „Justitia“ hatte Leo Bendel zur Finanzierung der Flucht nach Wien für 16.000 Reichsmark an die Galerie Hermann in München verkauft, wo sie Hitlers Kunstagentin Maria Almas-Dietrich zehn Monate später für 25.000 Reichsmark für das geplante Führermuseum erwarb. Mit den Belegen dieser Transaktion konnte die Restitutionsforderung gestellt werden, auf die das zuständige Bundesfinanzministeriums erst einmal nicht reagierte. Erst unter dem Druck einer wachsen Medienberichterstattung stimmte es 2007 der Rückgabe zu.

Warum wurde Spitzwegs „Justitia“ dann aber erst 2019 zurückgegeben? Warum wurde das Bild noch 2017 nach Wien in eine Ausstellung ausgeliehen? Mit den zynischen Bildangaben: Im Besitz der Bundesrepublik Deutschland, möglicherweise verfolgungsbedingt entzogene NS-Raubkunst, wer mögliche Erben kennt, bitte melden.

Um diesen Komplex zu diskutieren, hatte Katrin Stoll, die Geschäftsführerin des Auktionshauses Neumeister und ausgewiesene Expertin für Provenienzforschung im Kunsthandel, am Montagabend in die Berlinische Galerie geladen. Dort moderierte Nikola Kuhn, Kunstredakeurin des Tagesspiegels und Autorin einer Monografie zu Hildebrandt Gurlitt, eine Diskussion zu Provenienzforschung und Restitution.

Früher gingen die Behörden auf die Erben zu

Peter Raue, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Kunstrecht, erklärte dann, dass die Rückgabe der Artefakte meist wegen der schwierigen Klärung der Erbschaftsverhältnisse so lange dauere. Da war es dann interessant, vom Leiter Provenienzforschung am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, Uwe Hartmann, zu hören, dass die Behörden bei Entschädigungsverfahren in den 1950er Jahren noch proaktiv auf die Erben zugingen, nach ihren Erbscheinen suchten und sie ihnen kostenlos zustellten.

Heute müssen sich die Erben auf eigene Kosten und ohne behördliche Unterstützung um den Erbschein bemühen. Wer schon einmal einen Erbschein brauchte, weiß, dass dies keine kleine Hürde ist. Eine weitere Hürde liegt in der Verjährung, deren Sinnhaftigkeit Peter Raue zu belegen suchte. Freilich stimmte er dem Einwand aus dem Publikum zu, dass mit einem Verzicht auf die Einrede der Verjährung der Klage der Erben auch nach Ablauf der Verjährung stattgegeben würde.

Wie kam es nun dazu, dass die Erbengemeinschaft das Bild zu Neumeister gab, fragte Nikola Kuhn die Geschäftsführerin Katrin Stoll, sicher in der Erwartung, dass Stoll darin eine Anerkennung ihres im Kunsthandel ungewöhnlich vorbildlichen Umgangs mit NS-Raubkunst sieht. Doch diese Antwort blieb aus. Stattdessen berichtete Monika Tatzkow, dass sich die Erbengemeinschaft entschlossen hatte, mit der Bundesregierung zu verhandeln. Sie sah den richtigen Ort der „Justitita“ im Bundesverfassungsgericht.

Die Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, erkannte in dem Vorschlag dann eine große Ehre, meinte dann aber, leider habe die Regierung nur Geld für Museumsneubauten, nein, falsch, habe die Regierung kein Geld, aber geschenkt wäre der Spitzweg natürlich höchst willkommen.

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