Gedichte von Ghayath Almadhoun: Als das Meer selbst ertrank

Seine Gedichte handeln von der Unmöglichkeit, nach dem Krieg in Normalität zu leben. Ghayath Almadhoun, palästinensisch-syrisch-schwedischer Dichter.

Der Dichter Ghayath Almadhoun sitzt in der Berliner U-Bahn

Seit letztem Sommer ist der Dichter Ghayath Almadhoun als Stipendiat in Berlin Foto: Kholod Saghir

Jedes Wort hat Gewicht. Aber erreicht es auch die Hörer, dringt es durch zu ihrem Verstand? Und zu ihrem Herzen? Kein Dichter kann sich dessen sicher sein.

Vielleicht sind es dieser Zweifel und die Angst vor der Vergeblichkeit, denen Ghayath Almadhouns „Poetry shower“ gilt. Aus einem Lautsprecher, der über den Köpfen der den Raum Betretenden angebracht ist, dringt in dieser Klanginstallation ein Gemurmel, Stimmen sprechen, aber zu verstehen sind sie nicht. Es sei seine eigene Stimme, erklärt Ghayat Almadhoun in der daad-Galerie in Berlin, er lese da zwölf Gedichte von sich (in Arabisch) vor. Aber nicht nacheinander, sondern übereinander ­legen sich die Tonspuren.

Buchstaben treiben wie die Schneeflocken, die vor den Silhouetten kahler Baumkronen gefilmt sind, über das Bild der Landschaft, bevor sie sich zu Worten zusammensetzen. Das geschieht in „Snow“, einem Poe­try-Film, den Almadhoun zusammen mit der schwedischen Dichterin Marie Silkeberg gemacht hat.

Man hört das Heulen des Windes, ihre Stimme liest auf Schwedisch ein Gedicht von ihr und seine in Arabisch; in arabischer und englischer Sprache erscheint der Text im Bild. Ist es ein skandinavischer Winter, dessen Kälte hier fühlbar wird? Nein, Silkebergs Textzeilen und auch die Bilder führen bald in ein Flüchtlingscamp, zu den Frierenden.

Vagabundieren und löschen

2008 kam Ghayath Alma­dhoun nach Schweden, aus Syrien geflohen vor dem Regime Präsident Assads. Er beantragte und erhielt Asyl und damit, wie er erzählt, zum ersten Mal Papiere, einen Pass. Bis dahin war er staatenlos, 1979 geboren und aufgewachsen in einem palästinensischen Flüchtlingscamp in Damaskus.

Eigentlich habe er, so sagt er, in Damaskus eine schöne Kindheit gehabt. Aber etwas beunruhigte ihn, was sein Vater ihm nicht erklären konnte. Warum bin ich Palästinenser und die anderen Kinder Syrer? Warum leben wir in einem Flüchtlingscamp? Warum haben wir keine Papiere?

Und er fragt sich heute, ob damit noch immer seine Unruhe zusammenhängt, sein Vagabundieren, was sein Leben anstrengend macht. Und ob es ihn deswegen so fasziniert, seine Gedichte, wenn sie ihm nicht gefallen, auch wieder zu löschen, alle Kopien auf allen Geräten, in jeder Cloud, in jedem Speicher. Löschen, alles löschen. Seltsam ist dieser Zusammenhang, über dessen Möglichkeit er da nachdenkt. Zumal Poesie für ihn auch immer ein Speicher der Erinnerung ist.

Selbst im Kühlschrank deponiert er seine Gedichte

Seit letztem Sommer ist Ghayath Almadhoun als Stipendiat des daad in Berlin und bleibt noch bis zum Juli dieses Jahres. In der daad-Galerie hat ein Freund ein Wandbild aus arabischen Schriftzeichen für ihn gemalt. Die Schrift ist nicht mehr zu lesen. Sie ist zum Ornament verwoben und bedeckt von Seiten mit lateinischen Buchstaben, die auch kaum noch zu entziffern sind.

Er trägt ein T-Shirt mit seinen Versen: Englisch vorne, Arabisch auf dem Rücken

Als seltsam, „weird“, hätten ihn seine Freunde und Dichterkollegen schon früher bezeichnet, sagt Almadhoun. Weil er nur die Poesie gelten ließe und nichts anderes machen wollte. Am Schreibtisch zu Hause, im Café mit dem Laptop, auf dem Smartphone in der U-Bahn, die Möglichkeit, weiter am Gedicht zu arbeiten, sei immer da. Er arbeite zudem auch an der Streuung der Worte, um Gedichte hinaus in die Welt zu bringen.

Er schneidet Buchstaben aus, um nachts damit seine Gedichtzeilen an Mauern der Stadt zu kleben. Er trägt ein T-Shirt mit seinen Versen: Englisch vorne, Arabisch auf dem Rücken. Selbst im Kühlschrank deponiere er seine Gedichte. Er macht Bücher, er gibt Lesungen, arbeitet an den Film-Gedichten.

Der Krieg in Syrien ist immer anwesend

Seit er in Europa lebt, kreisen seine Gedichte um die Unmöglichkeit, Normalität zu leben. Immer ist in ihnen der Krieg in Syrien anwesend. Die Verwandten und Freunde, die dabei umkamen, die Flüchtenden, die im Meer ertrinken. Und wie diese Realität in Europa verdrängt wird. In einem seiner Gedichte begeht ein Fernseher Selbstmord, weil diesem schlecht wird von der Naivität einer Moderatorin, die wissen will, warum die Flüchtenden nicht legal mit dem Flugzeug und Visum nach Europa einreisen.

Ghayath Almadhoun: „Ein Raubtier namens Mittelmeer“, Arche Verlag, Zürich 2018

Man kennt die Worte, man kennt die Bilder, man ahnt, von welchen schrecklichen Ereignissen erzählt wird, die sich immer und wieder wiederholen. Seine Sprache aber, in der deutschen Übersetzung von Larissa Bender, sucht durch Verschiebungen dem Verschleiß der Aufmerksamkeit und der Routine zu entgehen. Das ist schwere Arbeit.

„Letztes Jahr, um nur ein Beispiel zu nennen, starb ein mit Flüchtlingen voll besetztes Boot an Herzinfarkt; als das erste Schiff den Unglücksort erreichte, war das Mittelmeer schon untergegangen. Man fand Wasser, das erstickt war; man fand Wellen, die klatschnass waren; man fand die europäische Union, die versuchte, sich an ein Stück Holz aus den Überresten des Bootes zu klammern, um sich zu retten. Die Kinder fand man nicht.“

So beginnt sein Gedicht „Evian“. Er schrieb es, als er von der Konferenz in Evian am Genfer See 1938 las, auf der die westlichen Staaten diskutiert hatten, wer die in Deutschland verfolgten Juden aufnehmen wolle. So gut wie kein Land wollte seine Grenzen damals öffnen.

Rassistische Vorurteile

Sein Gedicht, das man zunächst als auf die Gegenwart und die sogenannte Flüchtlingskrise bezogen liest, hat einen Apparat von drei Anmerkungen, von denen die erste rassistische Vorurteile unkommentiert aufzählt: „Sie werden uns unsere Arbeit und unsere Wohnungen nehmen, sie werden unsere Frauen verführen, sie werden die Ressourcen an sich reißen, die wir für die Armen vorgesehen haben, Verbrecher und Spione werden sich unter sie mischen (…)“.

Erst die zweite Anmerkung weist dies als Zitat aus der westlichen Presse aus, als es 1938 um die jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich ging. Das Gedicht hat eine Dramaturgie, die erst nach und nach erkennen lässt, wie Vergangenheit und Gegenwart hier aufeinander bezogen werden.

Zu vergleichen, ins Verhältnis zu setzen, seine Situation zwinge ihn dazu, sagt Alma­dhoun. Das führt manchmal auch zu unvorhersehbaren Gedanken. Sein Poe­try-Film „The Celebration“ zum Beispiel ist einerseits ein zutiefst pessimistischer Film, Berlin gewidmet, der zerbombten Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg, die man in Luftaufnahmen sieht.

Ein Requiem über den Tod der Freiheit

Während man über die Ruinen der Stadt fliegt, begleitet von einer Tonschleife aus Chopins Nocturne, hört man auf Arabisch und liest auf Englisch ein Gedicht, in dem alles weggeworfen wird, was als Zivilisation, Philosophie und Kunst gilt, und nur der Totalitarismus bleibt. Ein Requiem über den Tod der Freiheit selbst.

Und doch haben die Bilder der zerstörten Stadt Berlin, als er 2014 mit Marie Silkeberg an diesem Bild-Gedicht arbeitete, in ihm auch Hoffnung geweckt. Weil er dabei an das Berlin der Gegenwart dachte. Und verglich. Wenn diese Stadt sich wieder hat aufrichten lassen, dann ist das vielleicht auch eines Tages mit Aleppo, Homs oder Damaskus möglich.

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