Der Wald läuft als Reh herum

KUNST Die Sammelausstellung „Into the Woods“ in der Galerie im Park nähert sich dem liebsten Gehölz der Deutschen. Mit dabei: ein erfundener Außerirdischer

Hier sitzt die Kunst als Außerirdischer herum

VON TIM SCHOMACKER

„Hier nur Laub aufladen!“, verlangt ein kleines, aber energisches Schild. Es hängt hinten an einem mit klappbaren Holzplanken versehenen Anhänger. Das Ausrufezeichen veranlasst einen, schlendert man über das Gelände des Klinikums Bremen-Ost, umstandslos nach Laub zu suchen, um es auf den Wagen zu tun. Neben dem Wagen stehen Birken. Der Parkplatz von Eichen gesäumt. Die weniger einen Wald andeuten als eine Ordnung markieren. Ein echtes Waldstück grenzt an die Gebäude der programmatisch um große Fragen nie verlegenen „KulturAmbulanz“, gleichsam der kulturellen Forschungsabteilung des Krankenhauskomplexes.

In diesem Waldstückchen – vielleicht ein Restlein jenes Osterholzes, das dem Stadtteil den Namen gab – singen morgens erstaunlich viele verschiedene Vögel. Wobei: singen? Das ist ja auch schon wieder Kultur. So wie der Laubsammelwagen, als der der Wald hier herumsteht. Und der noch nicht einmal zur Ausstellung „Into the Woods“ gehört, die Kurator Uwe Goldenstein zusammengestellt hat. Die knallrote Leuchtschlange, deren Dioden sich um einen dicken Baum winden, gehören schon dazu. Man kann sie durch das Galeriefenster betrachten. Der gleichmäßige Puls des Baumblinkens, eingerichtet von der Berliner Künstlergruppe „The Vision“, scheint die Ordnung des Parkplatzes zu wiederholen. Eine andere Arbeit des Kollektivs setzt den Gedanken fort: In einem metallenen Schaukasten, flankiert von roten Heinzelmützen aus Filz und Bierfilzen aus Pappe, befindet sich ein Zettel. Zwischen Anordnungen des Kleingartenvereins „Silbermöwe“ zur ordnungsgemäßen Birken-Fäll-Arbeit und besten Wünschen für das Gartenjahr findet sich der Satz „Die deutsche Romantik ist eine Lüge“.

Erholung und Erhabenheit, die naturkundliche Anschauung und die Illustration des Irrationalen bilden die Zugriffspunkte der fünf KünstlerInnen und Künstlergruppen aus Deutschland, Dänemark, Ungarn, England und Italien. Der Wald steht in den beiden Ausstellungsräumen weniger als Natur herum, denn als Idee. Den Naturgesetzen, sagte Dietmar Dath einmal, sei es herzlich egal, ob man sie verstehe oder nicht. Der Wald ist eine Pflanzenformation, die „mehrheitlich aus Bäumen aufgebaut ist und eine so große Fläche bedeckt, dass sich darauf ein charakteristisches Waldklima entwickeln kann“ (Grundriss des Waldbaus, Berlin 1999). Wahrscheinlich kein Zufall, dass die unterschiedlich düsteren, aber gleichermaßen großformatigen Leinwandarbeiten des Dänen René Holms und des deutsch-englischen Duos Stepanek & Maslin den Wald systematisch über den Bildrand hinausragen lassen, ihn nur ausschnittsweise zeigen. Auch die gemalten Wälder müssen eine ausreichend große Fläche bedecken, damit ein Kunst-Klima entstehen kann. Holms „Die lange Reise zurück, und wenn sie in die Einsamkeit führt“ betiteltes Bild zweier in einem Boot an blattlosem Birkenbestand vorbeifahrender Figuren ist in der Ausstellung geschickt gespiegelt durch ein Video, das im Zeitraffer die Entstehung eben dieses Bildes zeigt. Das Video dauert exakt so lange wie Rammsteins Lied vom „Seemann“ auf den Kopfhörern. Schicht um Schicht tilgt Holm bisher Entstandenes, die Blautöne des Wassers und des Himmels werden ebenso übermalt wie das Grün des Laubs. Zwei Stellwände weiter kann man das so Richtung Schwarzweiß tendierende Gemälde betrachten – und wissen, was vorher da war. Und jetzt darunter ist.

Stepanek & Maslins beeindruckende Aneignungen des Laubwerks funktionieren über Bewegungen. Hier laufen unscharfe Menschenmengen durch bewaldete Gebiete, dort werden Bildvorder- und -hintergründe wie bei einem Film oder Foto durch einen „Kamera“-Schwenk gekonnt verschliert. Weil die deutsche Romantik ja eine Lüge ist, fällt hier das Licht auch nicht von einem klar definierten Punkt aus ins Dichtbewachsene. Was mit dem Blickpunkt elegant die Bedeutung verunklart. Genau wie die 1980er-TV-Ikone Alf, die bei „The Vision“ als erklärte „Zeichenlosigkeit in Affenform“ gleich zweimal im Gebüsch sitzt. Unter anderem als Plüschtierchen auf einem inzwischen toten und gänzlich durchmusealisierten Ast. Hier sitzt – um Vilém Flussers hübsches Diktum vom als Reh herumstehenden Wald abzuwandeln – die Kunst als Außerirdischer herum. Aber der ist ja auch eine äußerst menschliche Erfindung.

■ bis 9. September, Sonntag, 16 Uhr: Führung durch die Ausstellung mit Detlef Stein, Galerie im Park