AfD nach Thüringen-Debakel: Verlierer Höcke

Erst sah es aus wie ein Coup. Doch die Trickserei des AfD-Rechtsaußen im Thüringer Landtag ging nach hinten los.

Björn Höcke strackt die Hand aus, Bodo Ramelow, den man von hinten sieht nicht.

Der neu gewählte Ministerpräsident Bodo Ramelow verweigert Björn Höcke den Handschlag Foto: Martin Schutt/dpa

BERLIN taz | Wer verstehen will, was die Geschehnisse in Thüringen in den vergangenen Wochen für die AfD und ihren Rechtsaußen Björn Höcke bedeuten, sollte den Mittwoch vergangener Woche noch einmal aus einer etwas anderen Perspektive betrachten. Den Tag also, als der Linke Bodo Ramelow wieder zum Ministerpräsidenten gewählt wurde – und nach seiner Vereidigung Höcke den Handschlag verweigerte. Weil dieser, wie Ramelow später erklärte, den Parlamentarismus verächtlich mache und damit antidemokratisch sei. Inhaltlich nichts Neues also. Aber Ramelow hat aus dieser Erkenntnis – zumindest in jenem Moment, später bei der Wahl des AfD-Landtagsvize sah das anders aus – eine klare Konsequenz gezogen. Und damit ein sehr wirkmächtiges Bild geschaffen.

Richtet man den Blick nicht auf Ramelow, sondern auf Höcke und seine Fraktion, sieht man zunächst einen Mann, der mit hängenden Schultern vor Ramelow steht. Der belehrt wird, fast wie ein Schuljunge. Der verunsichert ist und den richtigen Zeitpunkt zum Absprung verpasst. Fast eine Minute steht Höcke so da.

In der AfD-Fraktion hat sich da längst Unruhe breitgemacht. Irgendwann, etwa 45 Sekunden dürften vergangen sein, hält Torben Braga, der Parlamentarische Geschäftsführer, der im Landtag vorne neben Höcke sitzt, es nicht mehr aus. Er steht auf, es sieht aus, als wolle er Höcke zu Hilfe eilen. Da wendet dieser sich von Ramelow ab.

Intuitiv scheint Braga erkannt zu haben: Am Ende dieser bewegten Wochen in Thüringen steht Höcke als Verlierer da. Und zwar in zweierlei Hinsicht: was die Inszenierung seiner Person angeht sowie strategisch.

Höcke wird von seinen AnhängerInnen als Lichtgestalt verehrt, als eine Art Messias. Seine GegnerInnen dagegen halten ihn für das personifizierte Böse, das zu allem fähig ist. Es ist eine Überhöhung auf beiden Seiten, an der nicht zuletzt auch die Medien mitwirken.

Der Spiegel hatte jüngst, nach der Wahl des FDP-Mannes Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten in Thüringen, Höckes Konterfei auf dem Titel, grimmig entschlossen guckend, vor schwarzem Hintergrund. Darunter die Schlagzeile: „Der Dämokrat“. Das dürfte Höcke gefallen haben. Es macht ihn größer, als er ist.

Höcke wird von seinen Anhängern verehrt, von seinen Gegnern dämonisiert. Beides macht ihn viel größer, als er ist

Der Mann ist ohne Zweifel gefährlich. Auch weil er eben als Anführer des „Flügels“ gilt, obwohl er vielleicht eher dessen Galionsfigur ist, manche sagen gar: sein Maskottchen. Und weil er in neurechten Netzwerken mitmischt, den Diskurs gezielt nach rechts verschiebt, Menschenmengen auf der Straße aufpeitschen kann und gleichzeitig als Fraktionschef im Landtag sitzt. Aber Höcke ist weder ein großer Vordenker noch ein begnadeter Stratege und auch keiner, der hinter den Kulissen die Fäden zieht. Und alle, die ihn länger beobachten, wissen ohnehin: Auch Mut ist nicht das, was den AfD-Rechtsaußen auszeichnet. Er ist ein Zauderer.

Höckes Macht hat weniger mit seinem realen Einfluss in der Partei, sondern mehr mit der ständigen Überhöhung seiner Person zu tun. Das Bild, wie Höcke vor Ramelow steht, lässt die Luft aus dieser Inszenierung – und schrumpft Höcke zu dem, was er ist.

Auch strategisch geht das Agieren der Thüringer Fraktion für die Partei nach hinten los – was die anfangs beschriebene Szene ebenfalls zeigt. Ramelow steht als Ministerpräsident vor Höcke, der mithilfe von Enthaltungen der CDU verfassungsfest wiedergewählt wurde. Die CDU hat sozusagen die Seiten gewechselt.

Auch wenn der ganze Vorgang die Missachtung des Parlaments durch die AfD deutlich zeigt, wirkte er zunächst wie ein Coup. Schließlich hatte die AfD CDU und FDP mit einem Trick, auf den diese sich bereitwillig einließen, dazu gebracht, mit ihr gemeinsame Sache zu machen. CDU und FDP boten den Rechtsextremen die Möglichkeit, sich als Teil der „bürgerlichen Mitte“ zu gerieren. Was als Teil ihrer Verharmlosungsstrategie derzeit eines der liebsten Ziele der Partei ist. Die Brandmauer zur AfD bekam Risse.

Doch massive öffentliche Proteste, verheerende Resonanz auch in den konservativen Medien und harsche Kritik aus Teilen von CDU und FDP änderten die Lage fundamental. Kemmerich trat zurück und ChristdemokratInnen wie Liberale zogen eine klare Grenze zur AfD. Diese erneut zu überschreiten, das dürfte jetzt schwerer sein als vor dem vermeintlichen Coup. Besonders für die AfD in Sachsen-Anhalt, die seit Langem auf das Kippen der Kenia-müden CDU in Magdeburg hofft, ist das ein harter Schlag. Viele in der AfD haben bislang auf die dortige Landtagswahl im kommenden Jahr gehofft – auch weil es dort kein so klares Feindbild wie Höcke an der Spitze gibt.

Thüringen hat die Haltung der CDU verändert

Georg Pazderski, AfD-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, hat „Björn Höckes Fehler“ gerade in einem Papier zur Lage der Partei analysiert, ein Abschnitt ist so überschrieben. „Nach all dem ist kaum vorstellbar, dass es in den nächsten Jahren irgendwo einen neuen Versuch geben wird, eine bürgerliche Wende herbeizuführen“, heißt es darin. Pazderski stellt zudem einen „nicht unerheblichen“ Kollateralschaden fest: „Die Grünen können sich als Vertreter des Bürgertums aufspielen, die Linkspartei wird hoffähig.“

Letzteres stimmt zwar nicht ganz, aber in einem könnte er recht haben: Thüringen hat den doppelten Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU verändert. In Sachen AfD wurde er zementiert, in Sachen Linke dagegen aufgeweicht, etwas zumindest. Höckes Coup ist nach hinten losgegangen. Oder, wie Pazderski, Oberst a. D., das vermutlich nennen würde: Höcke hat der Partei einen taktischen Sieg, aber eine strategische Niederlage beschert.

Diese zeigte sich am vergangenen Mittwoch im Erfurter Landtag ganz deutlich, so wie Höcke da vor Ramelow stand. Und dieses Bild wird bleiben.

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Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.

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