Katrin Seddig
Fremd und befremdlich
: Es ist das System, in dem wir leben, das der Nachhaltigkeit entgegensteht

Foto: Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Und wieder haben Landwirte am Sonntag in Niedersachsen die Lager von Aldi blockiert. „Solange du deine Füße unter meinen Tisch steckst ...“, hat der Vater gesagt. „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt“, hat die Mutter gesagt. „Land schafft Verbindung“, heißt die Bewegung, die die Treckerdemos organisiert. „Land schafft Versorgung.“ Sie versorgen uns also. Sie arbeiten rund um die Uhr, damit wir es gut haben, damit wir überleben können. Wer? Mutter und Vater?

Das ist eines der Probleme, die ich damit habe. Fühle ich mich als Versorger der Menschheit mit Literatur? Glaubt ein Bauer, er müsse mir huldigen, weil ich ihn mit Romanen versorge? Das ist natürlich ein schwacher Vergleich, weil eine Bäuerin ganz gut ohne meinen Roman, ich aber nicht ohne Nahrung auskommen kann. Wenn es denn aber um Existenzielles geht, um unser Überleben, dann sollten auch Bauern wissen, dass eine Düngemittelverordnung, wenn vielleicht nicht die Grundlagen ihrer Existenz, aber die ihrer Nachkommen sichern hilft. Wenn es nicht zu spät ist, weil unser aller Existenzgrundlagen, intakte, gesunde Böden, verlässliche Jahreszeiten, ein gemäßigtes Klima, flott den Bach runtergehen.

Aber wer ist schuld daran und wer soll es jetzt ausbaden? Die Bauern? Die Bauern fühlen sich unter Druck. Es ist so viel, was sie arbeiten müssen, es ist so billig, wie sie produzieren sollen, wie sollen sie da auch noch all diese Verordnungen einhalten, denen sie sich nicht mehr gewachsen fühlen? Und das kann ich tatsächlich verstehen. Man muss den Leuten auch mal glauben, wenn sie so etwas behaupten, sie wissen ja, worüber sie reden, sie haben es, ganz sicher, nicht einfach, bisher nicht, und jetzt noch weniger.

Aber ist die Düngemittelverordnung schuld, sind Auflagen schuld, die schon längst hätten gemacht werden müssen, nicht alle jetzt auf einmal, sondern schon lange und so, dass sie nicht plötzlich tief in die Gewohnheiten und Wirtschaftlichkeiten der Bauern einschneiden? Wenn wir jetzt sehr spät merken, dass die Auswirkungen des Klimawandels bedrohlich werden, und wenn wir dann schnell einen Haufen Gesetze erlassen, die uns jetzt noch ein bisschen retten sollen, dann werden die, die diese Gesetze am härtesten treffen, natürlich nervös.

Im Grunde wissen wir, durch reißerische und auch sachliche, informative Reportagen alle längst, wie Lebensmittel heute größtenteils produziert werden. Am Edeka steht ein Grillhähnchenstand, da kostet das halbe gegrillte Hähnchen keine drei Euro. Wenn wir die Kosten für die Arbeitskraft abziehen, die Gewürze, den Strom, den Aufschlag für den Großmarkt, was hat da wohl der Grillhähnchenzüchter für das Hähnchen bekommen? Wie kann ein solches Hähnchen über einen Zeitraum von mehreren Wochen gefüttert werden, wenn es am Ende, für einen Euro vielleicht, verkauft wird? Was kann das Futter gekostet haben?

Glaubt ein Bauer, er müsse mir huldigen, weil ich ihn mit Romanen versorge?

Es ist gut und richtig, wenn die Trecker jetzt vor Lidl und Aldi stehen, das ist der Platz, wo die Leute mit ihrem 30.000 Euro teuren Familienwagen parken, um Lebensmittel einzukaufen, die den Bauern in die Knie zwingen. Es ist aber auch der Platz, wo die arbeitslose Mutter die Karotten und das Toilettenpapier in den Kinderwagen lädt. Es ist also alles sehr kompliziert. Und ich will den Bio-Bauern, bei dem ich persönlich mein weniges Geld lasse, einmal außen vor lassen.

Das System, in dem wir leben, steht sämtlicher Nachhaltigkeit entgegen. Und zurecht beschweren sich die Bauern, dass sie es jetzt ausbaden sollen, während alle andern schön weiter Braunkohle abbauen und dicke Autos produzieren. Keiner will Abstriche machen, jeder will wirtschaftlich überleben, das böse Wort „Verzicht“ ist allen ein Graus. Dieses Wirtschaftssystems beruht nun einmal auf dem Gegenteil von Verzicht. Damit es funktioniert, müssen wir immer härter ausbeuten und immer mehr kaufen. Wie will man jetzt einzelne Gruppen gesetzlich dazu verpflichten, sich nachhaltiger zu verhalten, ohne grundsätzlich an diesem Wirtschaftssystem zu rütteln?