Rouen soll grüner werden

In der Hauptstadt der Normandie wird deutlich, warum die französischen Grünen vor der Kommunalwahl Rückenwind haben

Rouens Bürgermeisterkandidat Jean-Louis Louvel (links im Bild) und zwei weitere Kandidatinnen der Regierungspartei „La République en marche“ (LREM) Foto: Rudolf Balmer

Aus Rouen Rudolf Balmer

Es war am 26. September des vergangenen Jahres: Als Sirenengeheul am Morgen die Bevölkerung in Rouen aus dem Schlaf riss, brannte es in der Fabrik Lubrizol schon seit mehreren Stunden. Dort werden Schmiermittel hergestellt. Schwarze, übel riechende Rauchwolken breiteten sich in der Umgebung der Hauptstadt der Normandie aus und hinterließen bis 20 Kilometer vom Brandherd entfernt Rußspuren auf Blumenbeeten und Fahrzeugen. Niemand kam zum Glück ums Leben, aber Schulen und Krippen wurden vorsichtshalber geschlossen, Landwirte mussten ihre Milch wegschütten. Wer von den EinwohnerInnen Rouens die Möglichkeit hatte, zog zeitweise zu Freunden oder Verwandten.

Noch immer riecht es chemisch am Werksgelände am Lauf der Seine. Es ist immer noch mit grünem Plastik vor neugierigen Blicken abgeschirmt. Auch die Angst vor gesundheitlichen Spätfolgen wegen giftiger Chemikalien im Rauch und der Asbestverschmutzung beim Brand besteht weiter. Obwohl die Brandursachen nicht geklärt sind, haben die zuständigen Behörden im Januar die Genehmigung für eine begrenzte Wiederaufnahme des Betriebs gegeben.

Die Folgen der Lubrizol-Katastrophe bestimmen auch die Gespräche über die Kommunalwahlen am 15. und 22. März. „Die Leute sagen uns: Die Fabrik gehört dem amerikanischen Milliardär Warren Buffet. Der hat genug Geld, um für den Schaden aufzukommen“, sagt Lionel Descamps, der 37-jährige Spitzenkandidat der linken Partei „France insoumise“ in Rouen. Er bestätigt, dass viele Leute die offenbar mangelhaften Kontrollen bei Lubrizol kritisieren. Sie seien nun besorgt um die Sicherheit der zahlreichen Industrieanlagen in Rouen und den umliegenden Ortschaften, die wie Lubrizol in die Hochrisikokategorie „Seveso“ eingestuft wurden.

Die Umweltpolitik steht diesmal ganz oben bei den Prioritäten der meisten Wahllisten. Profitieren davon wollen nicht nur die Grünen (Europe-Ecologie-Les Verts), die zusammen mit anderen Umweltgruppen, den Kommunisten des PCF und der ebenfalls linken Organisation „Générations“ antreten. Der Spitzenkandidat dieser Liste „Réenchantons Rouen“ (Verzaubern wir Rouen), Jean-Michel Bérégovoy, hat gute Chancen, nach der Wahl ins Rathaus von Rouen einzuziehen. „In den Baumärkten wird demnächst die grüne Lackfarbe ausgehen, so sehr wollen die anderen ihr Programm grün anmalen“, spottet der 53-Jährige über die übrigen Parteien, die auch auf den Umwelttrend setzen, dabei aber „bloß Greenwashing betreiben“, meint Bérégovoy: „Wir glauben aber, dass die Leute sehr wohl einen Unterschied machen zwischen einer grün angehauchten Kampagne aus dem politisch rechten Spektrum und unserer Kontinuität und Glaubwürdigkeit.“

Die Politik wurde ihm in die Wiege gelegt. Er ist der Neffe eines früheren Premierministers der Mitterrand-Ära und der Sohn eines sozialistischen Abgeordneten. Er war in der bisherigen Stadtregierung für „partizipative Demokratie“ und die „soziale und solidarische Ökonomie“ zuständig. Er führt mit Françoise Lesconnec, der für kommunale Umweltfragen zuständigen Stadträtin, und zwei Vertretern örtlicher Umweltschutzgruppen stolz durch das Feuchtgebiet von Repainville am östlichen Stadtrand. Es sei ihr Verdienst, dass es nicht mit einem Einkaufszentrum zubetoniert worden sei. Spektakulär sieht diese sumpfige Landschaft nicht aus, die von Schulklassen auf einem Lehrpfad aus glitschigen Holzplanken durchquert werden kann. Aber es ist ein Leistungsnachweis für die Grünen, die nicht nur auf Naturschutz, sondern auch auf eine Zurückdrängung des Straßenverkehrs setzen. „Laut WHO sterben in Rouen jedes Jahr mindestens 110 Menschen vorzeitig wegen Feinstaubs“, argumentiert Bérégovoy.

Kommunalwahlen

Rund 35.000 französische Städte und Gemeinden wählen am 15. und 22. März neue Kommunalverwaltungen.

Trend zu Grün

Die französischen Grünen können laut Umfragen deutliche Stimmengewinne erwarten. Die Kommunalwahlen sind ein wichtiger Stimmungstest für Macrons 2016 gegründete Partei La République en Marche (LREM) vor der Präsidentschaftswahl 2022. In vielen Kommunen ist sie kaum verankert. (taz)

Die Grünen und ihre linken Verbündeten sind darum gegen die bereits beschlossene Autobahnumfahrung im Osten von Rouen, die zur Hälfte mit privaten Mitteln erbaut und darum gebührenpflichtig werden soll. Das sei nicht nur finanziell unfair für Leute mit knappem Budget, sondern bringe zusätzlichen Verkehr, statt diesen zu verringern. „Die anderen sagen euch: Habt Geduld, wir werden sehen. Doch wer heute auf später vertröstet, wird morgen zu spät dran sein“, warnt der massig wirkende Bérégovoy eindringlich vor 80 SympathisantInnen und Neugierigen bei einem Treffen in einem Stadtteilzentrum.

Rouen hat eine lange Geschichte und ein schmuckes historisches Zentrum mit Fachwerkhäusern aus dem 14. Jahrhundert und der von Claude Monet in einem Bilderzyklus verewigten Kathedrale. Es ist aber keine besonders grüne, sondern eine eher graue, vor allem steinerne Stadt. Das möchten auch Bérégovoys KonkurrentInnen ändern. „Heute kommt ein Baum auf fünf Einwohner, wir möchten, dass es für jeden der 110.000 Einwohner von Rouen einen Baum gibt“, sagt Nicolas Mayer-Rossignol, der Spitzenkandidat der Liste „Fier-e-s de Rouen“ (Stolz auf Rouen), den man in der Stadt kurz NMR nennt. Er findet es „demagogisch“, wenn sein grüner Konkurrent den Brand bei Lubrizol als Wahlkampfargument benutze.

Bei seiner Wahlveranstaltung im Quartier Saint-Sever warnt der 42-jährige ehemalige Vorsitzende der Region Haute-Normandie seine AnhängerInnen vor falschen Versprechungen: „Glaubt nicht an die Märchen, die man euch erzählt. Weder die Schließung von Lubrizol noch die Erlaubnis für den Wiederbetrieb fallen in die Kompetenz des Bürgermeisters, auch der Straßenbau nicht und erst recht nicht die Tarife der öffentlichen Transportmittel.“ Das alles werde von dem aus 70 Kommunen bestehenden Metropolverband Rouen Normandie entschieden, in dem fast eine halbe Million EinwohnerInnen leben.

Er möchte deshalb Bürgermeister von Rouen und Vorsitzender des Metropolverbands werden. „Der Bürgermeister hat die Legitimität der WählerInnen, die Metropole aber hat die Autorität und die Finanzen“, informiert er seine ZuhörerInnen, denen diese interkommunale Rollenverteilung kaum bewusst ist. Auf den Flugblättern und Plakaten von NMR sucht man vergeblich einen Hinweis auf seine Partei, den Parti Socialiste. Kein Wunder: Die traditionellen Parteien stoßen in der Normandie wie anderswo bei den Wahlberechtigten auf Misstrauen und Verdruss.

Frankreichs WählerInnen wenden sichvon den traditionellen Parteien ab

Darauf setzt der Kandidat der Regierungspartei „La République en marche“ (LREM), Jean-Louis Louvel. Als erfolgreicher Unternehmer, Präsident des lokalen Rugby-Klubs und Hauptaktionär der Lokalzeitung Paris – Normandie ist der 53-Jährige in Rouen vielen bekannt. In der Politik aber ist er ein Neuling. „Ökologie und Ökonomie sind kompatibel, und nur in der Kombination kann das funktionieren“, postuliert er wie sein Vorbild, Präsident Emmanuel Macron. Zu seinem Engagement für die Umwelt sagt er: „Ich will keinen einzigen Lkw mehr in Rouen, deshalb bin ich mehr denn je für die Ostumfahrung.“

Vor der Markthalle im Stadtzentrum posiert er für ein Foto vor einem Karussell, das für ihn ein Symbol für einen Machtwechsel sein soll: „Wir wollen in Rouen einer 30-jährigen Herrschaft der Sozialisten ein Ende bereiten.“

Auf seiner Liste „Rouen autrement“ (Rouen anders) hat er Leute der bürgerlichen Mitte und Parteilose versammelt. Er wird aber auch offiziell von der konservativen Partei „Les Républicains“ unterstützt. Wird er sich vor dem zweiten Wahlgang am 22. März noch mit Louvel einigen, wie dies umgekehrt LFI mit der Liste von Bérégovoy bereits angekündigt hat? Der Ausgang der Wahlen bleibt offen, sicher ist bloß, dass die graue Industriestadt Rouen so oder so grüner werden soll.