„Die Diskussion ist wichtig“

VOLKSBEGEHREN Die Verwaltung muss besser mit den Initiativen zusammenarbeiten, meint der Sozialwissenschaftler Hans J. Lietzmann. Kosten dürften kein Herrschaftswissen sein

■ Der 56-jährige Jurist und Sozialwissenschaftler ist Direktor des Instituts Bürgerschaftliche Politik in Europa in Wuppertal.

INTERVIEW SVENJA BERGT

taz: Herr Lietzmann, das Berliner Verfassungsgericht hat am Dienstag Volksbegehren auch dann erlaubt, wenn sie den Senat viel Geld kosten. Wird politisches Engagement damit attraktiver?

Hans J. Lietzmann: Selbstverständlich. Denn eines der Totschlagargumente gegen die Umsetzung von Volksbegehren ist damit vom Tisch.

Was muss passieren, damit Bürger die neue Chance nutzen?

Sie müssen über die Kassenlage und die Finanzierungsmöglichkeiten kompetent aufgeklärt werden. Nur dann können sie Beschlüsse fassen, die die Finanzlage der Stadt mit einbeziehen.

Wie lässt sich das erreichen?

Das kann man erreichen, indem man Finanzexperten in solche Volksbegehren und -entscheide mit einbezieht. Finanzexperten, die sonst Parlamentarier und Ausschüsse informieren, können genauso gut die Bürgerbegehrer und Bürgerentscheider informieren. Die Verwaltung muss also besser mit den Initiatoren zusammenarbeiten.

Bislang schätzt die Verwaltung die entstehenden Kosten.

Die Kostenschätzung alleine reicht nicht. Die Bürger müssen auch darüber informiert werden, was es kostet, wenn nichts geändert wird. Möglicherweise können sie Modelle anbieten, die sich diesen Kosten annähern. Bisher werden die Kosten wie ein Herrschaftswissen gehandelt. Und damit muss Schluss sein.

Muss das Abgeordnetenhaus damit rechnen, künftig von Volksbegehren überschwemmt zu werden?

Nein, das nicht. Aber natürlich ist ein Volksbegehren nicht alleine deshalb schon legitim und richtig, weil es ein Volksbegehren ist. Zum Beispiel setzt sich in Kalifornien bei Bürgerbegehren in vielen Fällen die weiße Mittelschicht gegen die farbigen Minderheiten durch.

Was lässt sich dagegen tun?

„Es sollte mehr als nur die einfache Mehrheit nötig sein, um einen Bürgerentscheid wieder zu kippen“

Es gibt eine ganze Menge von Verfahren. In der Schweiz werden beispielsweise Informationsbüchlein verteilt. Wichtig ist es, eine öffentliche Diskussion herzustellen, so dass breit gestreute Informationen bei den Bürgern vorhanden sind.

Ist ein Volksentscheid erfolgreich, ist er vergleichbar mit einem Gesetz. Das kann das Abgeordnetenhaus mit einer einfachen Mehrheit wieder ändern.

Man sollte es so regeln, dass mehr als nur die einfache Mehrheit nötig ist, um einen Volksentscheid wieder zu kippen. Sonst ist kein Entscheid gegen eine bestehende Regierungsmehrheit möglich. Auf der anderen Seite wäre es aber auch kaum legitimierbar, einen Volksentscheid aufrechtzuerhalten, wenn vier Fünftel eines Parlamentes dagegen sind.

Ein Volksbegehren kann offen lassen, woher das Geld kommen soll. Besteht nicht die Gefahr, dass einfach Gelder verschoben werden und andere Einrichtungen wegfallen?

Das kann sein, aber man kann auch Gegenfinanzierungen einplanen. Im Falle des Kita-Volksbegehrens könnte das heißen, dass Beiträge vorgeschlagen werden oder auch Einsparungen an anderer Stelle.