Benjamin Moldenhauer
Popmusik und Eigensinn
: Nichts mit Urschrei

Foto: privat

Der geglückte Versuch, überlieferte musikalische Formen zu zerstören oder wenigstens vorübergehend außer Kraft zu setzen, er altert vergleichsweise gut. Als der Saxofonist Peter Brötzmann 1968 mit seinem Octet in der Lila Eule „Machine Gun“ aufnahm, fügte sich alles traumwandlerisch zusammen, um dann zu explodieren in der Musik. Die Mikrofone hätten mit Woll­decken aus dem Theater verhängt werden müssen, so laut war das. Schön war die Zeit. Der Spiegel hörte auf „Machine Gun“ „destruktive Akustik aus dem Bremer Untergrund“, dabei kam Brötzmann ja aus Wuppertal. Thurston Moore, ehemals Sonic Youth, identifizierte zwei Jahrzehnte später die Stücke als „smashing, clanging wonderland of noise“.

Wer „Machine Gun“ als „Urschrei“ oder „Chaos“ beschreibt, überhört, dass Brötzmanns Musik sehr wohl thematische Klammern, voneinander abgrenzbare Segmente und also eine rekonstruierbare Struktur hat. Und die Lesart, die in „Machine Gun“ den Beginn einer genuin europäischen Jazz-Tradition sehen möchte, überhört die zahlreichen, nicht zuletzt recht witzigen Verweise auf Blues und Jazz. Das alles lässt sich auch auf dem Mitschnitt des Konzertes hören, das Brötzmann im Trio im Mai 2018 zum fünfzigjährigen Jubiläum von „Machine Gun“ in der Lila Eule gespielt hat. Im Vergleich zum geplanten Ausbruch ein halbes Jahrhundert zuvor ist hier alles überschaubarer und transparenter. Von damals ist nur noch der Schlagzeuger Han Bennink dabei. Alexander von Schlippenbach spielt das Klavier und bildet aus der Distanz so etwas wie Gegengewicht zu Brötzmann und Bennink, die auf der Bühne eher einen Jahrzehnte währenden Kampf fortzuführen scheinen als im engeren Sinne zusammenzuspielen.

Überhaupt ist es heute die eher momenthafte Kraftmeierei, die die Musik Peter Brötzmanns mitunter nervtötend werden lässt, nicht der Noise. Und so kann man auch auf „Fifty Years after...“ nachhören, wie die gar nicht so wenigen Momente von Fragilität der klanglichen Massivität eine sonderbare Schönheit aufzwingen. Und am Ende des letzten Stückes kehrt dann tatsächlich für fast eine Minute Frieden ein.

Brötzmann, Bennink, von Schlippenbach: Fifty Years After ... Live at the Lila Eule 2018 (Trost)