Gefährliches Gedankenexperiment

Aus der Geschichte von vier Attentätern bastelt Alicia Geugelin eine Collage über Täter und Taten. Dabei zitiert sie Terroristen, Faschisten und Islamisten, Friedrich Schiller und Heinrich von Kleist – leider mit wenig klarer Haltung

Dass das Stück fahrlässig kommentarlos Taten und Täter nebeneinanderstellt, macht auch das engagierte Ensemble nicht besser Foto: Philip Artus

Von Katrin Ullmann

Feuer, eine Armbrust, ein Dolch und ein Schwert. Das sind die Waffen von Michael Kohlhaas, Wilhelm Tell, Brutus und Judith. Mit ihnen morden und metzeln sie, verschwören sich gegen einen Diktator oder brennen wütend ganze Dörfer nieder. Sie tun dies in unterschiedlichen Epochen und in unterschiedlichen Kontexten. Doch alle handeln sie aus Rache oder vielmehr: aus Gerechtigkeitssinn. Alicia Geugelin macht diese vier Figuren, die „vier berühmtesten Attentäter der Literaturgeschichte“, zum Ausgangspunkt ihrer Inszenierung im Lichthof-Theater.

Im vergangenen Jahr hatte Geugelin den Start-off-Wettbewerb für junge Regisseur*innen gewonnen. Diesen Wettbewerb lobt das Lichthof-Theater gemeinsam mit der Theaterakademie Hamburg und der Hamburgischen Kulturstiftung für junge Regisseur*innen aus, um erste Schritte im Freien Theater zu machen. Nun also realisiert Geugelin ihre damalige Projektidee „Killing in the name of … – ein dokufiktionales Musikschauspiel“.

Zunächst ist da vor allem die Fiktion, und zwar in einem düsteren Club. So zumindest mutet der eindrucksvolle, hochatmosphärische Raum an, den Letycia Rossi dem Lichthof-Theater abgerungen hat. Tief, auf nur zwei Metern Höhe, hat sie mit Pappkartons und ein paar funzeligen Neonröhren die gesamte Decke abgehängt. In dunklem Grau nachlässig bemalte Wände umrahmen das Spielfeld. Am Rand gruppieren sich die Zuschauer kauernd auf Stühlen, auf Hockern und dem Boden. Beim Betreten dieses Clubs spielt eine Band lauten, funkigen Jazz, das Konzert hat längst begonnen, in irgendeinem geheimen Keller.

Die Raumbehauptung, die Rossi aufstellt, ist so verblüffend wie genial. Die Lichthof-Theaterrealität ist vollkommen aufgehoben, wie weggewischt. Und später am Abend, wenn das gesprochene Wort, die Texte, überwiegen und etliche Attentäter-Beispiele die reale Gegenwart vor Augen führen, dann scheint sich der vermeintliche Club in einen Verhörraum zu verwandeln, in eine Gefängniszelle oder in einen kalten Betonbunker.

Wenn sie nicht E-Gitarre, Bass, Schlagzeug oder Klarinette spielen, wenn sie gerade nicht in einer langsamen Version Rio Reisers „Der Traum ist aus“ singen, dann berichten die vier hochkonzentriert agierenden Darsteller*innen (Michael Del Coco, Louis von Klipstein, Thea Rasche, Jakob Walser) von den Taten ihrer Figuren und den dazugehörigen Motiven. Mit großer, theatraler und manchmal etwas zu bedeutungsschwerer Ernsthaftigkeit tun sie das, werfen sich dabei verschwörerische Blicke zu.

Nur manchmal tänzeln, boxen und kämpfen sie, meist stehen sie barfuß und fest entschlossen im Raum, sind in (Unschulds)Weiß gekleidet (Kostüme: Pia Preuß), stellen Fragen zum Heldentum und zum Sterben, zu Recht und Moral, zu Notwehr und Verbrechen und versichern einander regelmäßig, dass sie „nicht grausamer als die Natur“ seien. Was ändert es schon, ob Menschen an einer Seuche oder an einer gewaltvollen Revolution sterben? Was zählt eigentlich Menschenleben? Wann ist Töten erlaubt und wer legt die Kriterien dafür fest? Immer wieder fallen sie einander ins Wort, erzählen ihre Geschichte(n) der Ungerechtigkeit, bestätigen sich in ihrem Tatendrang, in ihrem jeweiligen, meist lang gereiften Entschluss, zu töten.

Collagenartig überlagert Alicia Geugelin die einzelnen Sequenzen, verknüpft in kurzen Monologen die unterschiedlichen Quellen. Ruhig nehmen die Darsteller ihre Erzählungen auf, gleiten nahezu übergangslos vom Ende der Römischen Republik in die hohle Gasse des Schweizer Nationalhelden, vom blutigen Rachefeldzug eines brandenburgischen Pferdehändlers zur Enthauptung des weinseligen Holofernes durch die listige Judith.

Später löst sich Geugelin von den fiktiven Vorlagen, spielt Audiodateien aus der Gerichtsverhandlung um Gudrun Ensslin ab, verhandelt das verfehlte Hitler-Attentat von Graf von Stauffenberg und spielt O-Töne von Christian Klar und Videoschnipsel von Beate Zschäpe und Anders Breivik ein. Assoziativ springt sie immer wieder zurück zu Schiller und Kleist, umrahmt von reizvollen musikalischen Bearbeitungen von Lucilectrics „Weil ich ein Mädchen bin“ oder The Clashs „Guns of Brixton“.

Vermutlich löst die Regisseurin ganz absichtlich all diese dokumentarischen und fiktionalen Texte und Taten aus ihrem jeweiligen Kontext, stellt atem- und pausenlos Attentat neben Attentat, fiktive Charaktere neben reale Täter und zitiert völlig wertfrei Terroristen, Faschisten, Islamisten, Schiller und Kleist. Das Publikum soll dabei, so wünscht es der Programmzettel, „zum Spielball in der Rolle zwischen Richter*in und Kompliz*in“ werden.

Tatsächlich wirkt der Abend, trotz des engagierten Ensembles, im besten Fall wie eine literaturwissenschaftliche und gesellschaftsgeschichtliche Fleißarbeit, die mit der umfangreichen Parallelmontage womöglich einen kathartischen Schrecken erzeugen wollte. Doch ohne dramaturgische Spitzen und vor allem ohne eine klare Regiehaltung wird aus dem thematisch eigentlich interessanten Abend ein unüberlegtes, gar gefährliches Gedankenexperiment, das fahrlässig kommentarlos Taten und Täter vergleicht, deren Gräuel unvergleichlich sind.

„Killing in the name of...“: Sa, 7. 3., 20.15 Uhr; So, 8. 3., 18 Uhr, Lichthof-Theater