Köpfe müssen rollen!

Straßenumbenennungen haben wieder Konjunktur. Ob Kolonialisten oder Nazis: Alles muss weg, sagen die einen. Manchen geht das zu weit: Wo bleibt unsere Geschichte, fragen sie. Wieder andere sind mehr an neuen Namen interessiert – um neue Vorbilder zu etablieren

Ein großer Pathologe, eine Straße wert? Oder doch ein NS-Verbrecher? Büste von Robert Rössle auf dem Campus Buch, zu dem die Robert-Rössle-Straße führt Foto: Stephanie Steinkopf/Ostkreuz

Von Susanne Memarnia

Namen sind Schall und Rauch“, sagt der Volksmund. Doch auch wenn der Spruch vom guten Goethe stammt, wahr ist er nicht. Wahr ist: Namen machen Leute, vielleicht mehr als Kleider. Ob jemand Lars oder Muhammet, Laura oder Kevser heißt, bestimmt den Lebensweg zumindest mit. Vor allem aber zeigt schon unser Vorname, aus welcher Welt unsere Eltern kommen und wo sich unsere Namensgeber verorten – oder zur Zeit unserer Geburt verortet haben.

Bei Straßen und Plätzen ist es ähnlich. Wenn wir ihnen Namen geben, bezeichnen wir sie nicht nur mit Pflanzen, Landschaften, Tieren. Vielleicht, weil die irgendwann alle vergeben wären. Doch offenbar auch, weil wir das Bedürfnis haben, unsere Helden und Vorbilder zu ehren, uns damit in der Welt zu posi­tio­nieren und mittels der Namen – ein Stück weit wenigstens – zu definieren. Oder sagen wir so: Wenn wir Straßennamen brauchen, warum sollen wir sie nicht nach verehrten Persönlichkeiten wählen, nach Menschen, die wir nicht vergessen wollen?

Der naheliegende Gedanke hat einen offenkundigen Nachteil: Helden unterliegen Konjunkturen; wen man verehrt, ist eine Frage des Zeitgeists. Darum gab es – um das drastischste Beispiel zu nehmen – 1944 Hunderte Adolf-Hitler-Plätze und -Straßen in Deutschland und gibt es heute keine mehr.

Doch auch wenn 75 Jahre nach Kriegsende und 30 Jahre nach der Wende die größten Verbrecher des Nationalsozialismus und später des Stalinismus von den Schildern verschwunden sind: Es bleibt viel zu tun – und vermutlich hört es niemals auf. Die Gesellschaft entwickelt sich weiter, neue Generationen haben neue Perspektiven, stellen neue Fragen – und nehmen kritisch unter die Lupe, was den Alten, vielleicht nur aus Gewohnheit und Bequemlichkeit, ans Herz gewachsen ist.

Ablesen lässt sich der Stand der Debatte, die sich heute meist um den Umgang mit dem kolonialen „Erbe“ dreht, unter anderem an den Umbenennungsverfahren in den Bezirken. So sollen etwa in Neukölln und Charlottenburg-Wilmersdorf neue Namen für je eine Wissmannstraße gefunden werden. Hermann Wissmann war Reichskommissar in Ostafrika und verantwortlich für die Hinrichtung unzähliger Menschen. In Steglitz-Zehlendorf soll der Maerckerweg weg, benannt nach dem „Kolonialkrieger“-General Georg Maercker, sowie die Gallwitzallee, für die Max von Gallwitz Pate steht, ein „ausgeprägter Antisemit“, wie die Antragsteller der Linksfraktion schreiben. Auch in Pankow steht ein Antisemit im Visier der Lokalpolitiker*innen: Christian Peter Beuth, nach dem ja auch die Hochschule in Wedding nicht mehr heißen mag.

Dass auch die NS-Zeit noch nicht völlig aufgearbeitet ist, zeigt ein Antrag in Pankow zur Robert-Rössle-Straße, benannt nach einem Mediziner. Wie viele Männer wie er (weibliche Straßenpaten gibt es ja kaum) stehen noch unbeachtet auf unseren Schildern? Solche aus der „zweiten“ Reihe, „Mitläufer“, wie sie entschuldigend genannt werden, die aber vielleicht doch mehr Dreck am Stecken hatten? Hat man sie alle je genau angeschaut – oder wollte man es gar nicht so genau wissen? Die Debatte über Robert Rössle in Buch mag ein Beispiel dafür sein, welche Diskussionen noch auf uns zukommen werden.

Dabei ist es nicht wenigen jetzt schon zu viel. In jeder Umbenennungsdiskussion heißt es erneut: Muss das sein? Die Zweifler argumentieren, es sei „unhistorisch“, die alten Namen mit den Maßstäben von heute zu beurteilen – und zu verurteilen. Sie sagen, auch die weniger oder nicht mehr Guten gehörten zu unserer Geschichte – es helfe gar nicht, sie aus dem Stadtbild zu verbannen. Man solle ihre Namen behalten, sagen sie – als „Pfahl im Fleische“, der uns immer mahne, auf dass wir nicht vergäßen.

Gegen das „unhistorisch“ kann man einwenden, dass dies nun mal der Lauf der Dinge ist. Wir haben erkannt, dass Rassismus, Antisemitismus, Sklaverei, Euthanasie und vieles andere falsch ist – und Menschen, die dafür stehen, sollen nicht unser Zuhause kennzeichnen. Und dann: Was heißt, sie gehörten zu „unserer“ Geschichte? Wer ist „wir“? Gehören die Opfer des Kolonialismus, Antisemitismus, Nazismus und ihre Nachfahren, die durch diese Namen besonders gekränkt werden, denn nicht dazu?

Vielleicht ist es Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass Straßen und Plätze nicht auf ewig dieselben Namen haben. Dass jede Generation neue Idole hat und auf den Schild hebt. Dieser Prozess hat bereits begonnen: Charlottenburg-Wilmersdorf möchte einen Benno-Ohnesorg-Platz, in Neukölln wurden vorige Woche zwei Sträßchen nach den ermordeten Polizisten Roland Krüger und Uwe Lieschied benannt. Und Friedrichshain-Kreuzberg bekommt bald eine Inge-­Meysel-Straße sowie einen Rio-Reiser-Platz. Ein Stück Straße für die afrodeutsche Dichterin Audre Lorde wird noch gesucht.

Schon klar, „besorgten Bürgern“ und AfDlern wird das nicht gefallen. Aber who cares?

Ein Fallbeispiel: Straße mit Vergangenheit 44–45