A wie Autorüpel,
U wie Unfall

Ein kleines Glossar zum Straßenverkehr: Über verharmlosende Sprache und den Spagat zwischen allmächtigen Automobilen und anderen Verkehrsteilnehmern

Von Bernd Müllender
(Text) und Mathias Hühn (Illustrationen)

A Auto Kurzform von Automobil. Wörtlich: Selbstbeweger. Verkehrsgerät mit zahllosen exklusiven Eigenschaften: a) nachhaltig klimafeindlich, b) maximal unökonomisch, weil pro Person bei 1,3 Insassen durchschnittlich eine Tonne Materialmix bewegt werden muss, c) meist Stehzeug statt Fahrzeug (95 Prozent Parkzeit als Autoimmobil), d) Quell dauernden Selbstbetrugs: „Meiner braucht nur vier Liter, da kosten 100 Kilometer gerade mal fünf Euro.“ Und: e) kann trotz seines Schummelnamens nur selbsttätig stehen, nicht fahren. Trotzdem und deswegen weltweit als Heiliges verehrt. Brumm ergo sum.

A Autobahndeutsch Unsere Sprache verdankt den geliebten Sehrschnellstraßen vielfältiges Vokabular – in allen Lebensbereichen: in Architektur (Mittelleitplanke, Wanderbaustelle), Chemie (Zähfließender Verkehr), Demokratie (Freie Fahrt für Freie Bürger), Fauna (Entenfamilie auf der Fahrbahn), Flora (Straßenbegleitgrün), Geografie (Sauerlandlinie), Handwerk (Autobahnmeisterei) oder Raumplanung (Rettungsgasse, Stauende). Sich Stauende gibt es von Stauanfang bis Stauende.

A Autorüpel Wenig gebräuchlicher Begriff. Anders als Radrüpel (siehe daselbst)

A Autowetter Rubrik von Zeitungen, Onlinediensten und Wettervorhersagen, die im Winter gern die Rubrik „Pollenflug“ ersetzt. Bei Warnungen vor Nebel oder Glatteis werden immer, wie auch im Fernsehen, explizit Lenker von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor angesprochen: „Runter vom Gas.“ Radfahrer und Fußgänger scheinen wetterfrei, was machen die bei A.?

B Blechlawine Bezeichnung für die Ansammlung vieler Automobile (zeitlich und räumlich alltägliches Phänomen). Lawine impliziert ein schwer vorhersehbares Naturereignis. Bis zur Speichenlawine ist es noch ein weiter Weg.

B Bremsen Vorrichtung zur Temporeduzierung eines Fahrzeugs. Gern benutzt als Hinweis für einen Unfall: „… konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen.“ Übersetzt: war zu schnell und/oder hat geschlafen.

C Cabrio Oben offenes Automobil, mit besonderem Freiheitsgefühl besetzt. RadfahrerInnen genießen das Cabriofeeling 24/7.

D Dunkle Kleidung In Polizeimeldungen beliebte Beschreibung eines Radlers nach einem Unfall. Soll heißen: Hell hätte vielleicht helfen können (siehe auch Ü Übersehen). Wirkung: „Tja, selbst Schuld.“ Ähnliche sachfremde Reflexe löst der Hinweis aus: Radfahrer trug keinen Helm (siehe H Helm).

E Erfassen Vielfältig nutzbares Verb: Man kann Daten erfassen, eine Situation, ein Problem oder einen Dienstpflichtigen. Im Straßenverkehr erfassen Kraftfahrzeuge gern Radfahrer oder Fußgänger, meist im Passiv: „… wurde von einem Pkw erfasst“. Gemeint ist: umgefahren, mitgerissen, verletzt, getötet. E. umfährt solche Begriffe.

H Helm Gern empfohlener Kopfschutz für Radelnde. Damit Verletzungen glimpflicher ausgehen. Immer wieder auch von der Polizei nach Unfällen (Auto gegen Radler) sachfremd und opferverhöhnend angeführt: Hätte der Verletzte doch nur … Untersuchungen zeigen indes, dass der H. seltener als gedacht bei Unfällen mit Autos hilft: Meist sorgen Verletzungen von Thorax und Beinen für die schlimmsten Schäden oder gar den Tod. Ansonsten sorgt der H. bei AutofahrerInnen für ein überraschendes Phänomen: Eine Untersuchung zeigte, dass sie Radler mit H. enger überholen als solche ohne H. Fataler Effekt: Damit verringert der H. zwar möglicherweise Verletzungen, macht Unfälle aber wahrscheinlicher. In Ländern wie Holland mit einer hohen Fahrradkultur und sicheren Wegen ist der H. sogar bei Kindern völlig unüblich. Lenkern offener Autos (siehe C Cabrio) werden keine Helme empfohlen.

H Hubraumparteien Wunderbare Bezeichnung für CDU und SPD durch den Journalisten Gerald Eimer in den Aachener Nachrichten. Die SUV-Partei FDP musste sich als besonders emsige Hubraumpartei allerdings vergessen fühlen. Zwergendiskriminierung!

H Hungertod Höhepunkt der Argumente gegen eine Ausweitung von Radwegen und die mögliche Reduzierung von Straßenabschnitten für Autos. Massenhafter H. ist zu beklagen, wenn jene Leserbriefschreiberin recht behält, die neulich wegen einer angeblich nicht mehr erreichbaren Innenstadt geunkt hatte: „... alle Geschäfte bleiben leer, dann haben die zwar gute Luft in der Stadt, aber nix zu fressen.“

K Kampfradler siehe Rüpelradler

K Kavalierstart Altväterlich für quietschreifiges Anfahren eines Automobils mit nervendem Motorgedröhn und rasender Passanten-Gefährdung. Siehe auch P wie Posen.

K Klimaanlage Einrichtung in einem Kfz zur Temperatursteuerung im Innern. Andererseits ist das Kfz selbst eine Maschine zur äußeren Temperatursteigerung (abgasbedingte Klimaerhitzung). Ein rheinischer Geschäftsmann schrieb einmal, wie er an besonders heißen Tagen beide Bedeutungen zu versöhnen weiß: „Ich setze mich in meinen Wagen, schalte die Klimaanlage an und drehe ein paar Runden.“

K Kollision Polizeilich gern benutzter, scheinbar rechtsneutraler Begriff bei Unfällen, egal welche Verkehrsteilnehmer beteiligt sind. Beispiel: „Gestern … kam es zu einer Kollision eines Sattelschleppers mit einem Fahrrad.“ Das passive „kam es...“ vermeidet jede Aussage zu Verantwortung und Schuld. Besser wäre: „Gestern rammte ein Sattelschlepper ein Fahrrad von der Straße...“ Nachfolgende Ermittlungen und Gerichte können Verantwortung und Schuld immer noch klären.

M Motorisierter Verkehr Ungelenker Versuch, die falsche Gleichsetzung von Verkehr und Autoverkehr zu umgehen, etwa bei Straßensperrungen. Auch Pedelecs und E-Bikes sind motorisierter Verkehr.

P Parksünder, auch Verkehrssünder. Verharmlosende Bezeichnung für Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr. Christlicher Sünde-Bezug zielt auf billige Wiedergutmachung mit kleiner Sühne, ob Ordnungsgeld, Gebet oder vorgeblicher Einsicht. Dann ist alles wie gottgegeben verziehen und vergeben. Bis zum nächsten Mal. Bessere Begriffe: Parkrüpel, Autorowdy.

P Posen Verhalten von heterosexuellen männlichen Wagenlenkern zum vermeintlichen Beeindrucken des weiblichen Geschlechts. Beim P. wird mit Vorliebe motordröhnend gerade da sinnfrei entlang gerast, wo besonders viele angeekelt teilhaben müssen. Das Herumfahren der testosterongequälten Verkehrsteilnehmer diene dazu, sagen PsychologInnen, körperliche Defizite in Zentimetern zu kompensieren. Siehe auch K Kavalierstart.

P Prallen Beliebte Tätigkeit von Radfahrern an Autotüren. Prallen die mit Vorsatz dagegen? Oder hat jemand unbedacht, unaufmerksam die Tür Richtung Radweg aufgerissen? Englischer Fachterminus: Dooring.

R Rollender Uterus Ein Begriff, dem Philosophen Peter Sloterdijk zugeschrieben, der sich auf die Faszination des Automobils bezieht. Eine Analogie beim Fahrrad wäre schutzloser Fötus.

R Rüpelradler, auch Radrüpel Anklagende Alliteration für Velolenker wegen: Fahren in Fußgängerzonen, Queren von Fußwegen, zu schnellem Fahren (etwa Tempo 20 im Tempo 50 Bereich) oder auch schon Nichtklingeln. Gern nutzen Menschen den Begriff, die sich altersbedingt erschrecken, Klingeln nicht hören und/oder nicht wissen, dass sie lange gesehen werden, bevor sie selbst etwas mitbekommen (verkehrliches Vogel-Strauß-Verhalten). Die unbekannte Analogie Autorüpel klingt wie weißer Schimmel.

S Sackgasse Bezeichnung für eine Straße ohne Durchfahrtmöglichkeit. Für Autos. Radfahrer und Fußgänger sind meist nicht betroffen, was aber bei der Beschilderung selten angezeigt wird. Wenn man sich darauf verlässt, erwischt man gern eine der wenigen kompletten Sackgassen. In Aachen gibt es sogar eine kleine Straße, die den Namen Sackgasse trägt. Ist aber keine für niemanden.

S Schutzstreifen Aufgepinselte Bereiche, die meist handtuchschmale Radwege gleich neben der Autospur darstellen sollen. Quelle besonderer Gefahr. Gern mit gestrichelten statt mit durchgezogenen Linien abgegrenzt. VerkehrspsychologInnen dürfen zu Recht vermuten, dass deutsche Autofahrer höchstens vor durchgezogenen Linien Respekt hätten. Im Niederländischen heißen diese Schutzstreifen Moordstrookje, zu deutsch Todesstreifen. In Flandern war Moordstrookje 2018 das Wort des Jahres.

S Stau Ansammlung von Pkw und Lkw auf Straßen hintereinander. Man sagt fälschlich, man sei in einen S. geraten – wie in ein unvorhersehbares Naturereignis (Platzregen, Schneesturm). Richtig wäre: Man ist S. Jeder Gestaute ist Teil desselben. Bei Fahrrädern sind Staus selten: Dafür ist dieses Verkehrsmittel zu flexibel.

S Stoßtrupp Bezeichnung in einer Überschrift der Aachener Zeitung („Nächster Stoßtrupp sperrt das Blech aus“) für eine zehnköpfige Gruppe Radentscheid-AktivistInnen, die mit Pylonen auf einer Straße ein Stück breiten Radweg darstellten. Ansonsten ist ein Stoßtrupp eine, laut Wikipedia, „Angriffsformation der Infanterie. Entwickelt wurde sie durch die Sturmbataillone, als Angriffsform gegen Feindkräfte in offenen Feldbefestigungen. Heute wird diese Formation insbesondere im Orts- und Häuserkampf sowie im Waldkampf gegen einen Feind in Feldstellungen eingesetzt.“

U Unfall Verharmlosender Begriff für Crash, Zusammenstoß, Schaden mit den Folgen Blut und Leid, schuldhafte Verletzung oder Tötung bis hin zu Totschlag und im manchem Fall von Autorennen: Mord. Auch U. wird gern im Passiv genutzt: „Es kam zu einem Unfall.“

Ü Übersehen Beliebte Erklärung von AutofahrerInnen zur Erklärung von Unfällen mit zweitrangigen Verkehrsteilnehmern wie Radlern oder Fußgängern, einem Lapsus ähnlich. Setzt sogar voraus, dass überhaupt geguckt wurde und die Möglichkeit eines real existierenden Dritten bedacht. Oder überhaupt geguckt werden wollte: Phänomen der Wahrnehmung nur dessen, was ich sehen will.

V Verkehr beachten Das Gegenteil zu Ü wie Übersehen. Von den häufig schuldlosen Opfern heißt es oft, sie hätten „den Verkehr nicht beachtet“. Das impliziert: grobe Fahrlässigkeit, Dummheit, selbst Schuld. Steigerung: „Fußgänger ist vor das Auto gelaufen.“ Das geht schon in Richtung der berühmten Verteidigung eines Schlägers, das Opfer sei ihm in die Faust gelaufen.

V Verkehrsdurchsagen

Meldungen in Radiosendungen zu Behinderungen im Verkehr (immer gemeint: Auto-). Verbrauchte Sendezeit seit 1945: geschätzt etwa 1,7 Millionen Stunden. Hebt seitdem Orte ins Bewusstsein wie Hamm, Bockum-Werne, Krefeld-Oppum, Bad Rappenau, Ulm-Elchingen, Fürstenwalde Ost. Thematisiert werden gern Widrigkeiten wie Bergungsarbeiten, Löscharbeiten, Wartungsarbeiten, Baumschnittarbeiten, größere Gegenstände auf dem rechten Fahrstreifen, mehrere große Holzplatten in beiden Fahrtrichtungen, toter Hund auf der linken Spur, Kinder an der Leitplanke. Das „Bitte großräumig umfahren“ meint drumherum nicht mitten rein, also Betonung hinten.

V Verkehrssünder, siehe Parksünder

W Wendemöglichkeit, keine. Gemeint sind immer die unhandlichen Autos.

Z Zusammenstoß und -prall Die beliebteste und wirklichkeitsfremdeste Formulierung nach einem Unfall: „Es kam zu einem Zusammenstoß oder Zusammenprall.“ Gelegentlich auch: „Fahrrad prallte gegen Kfz“ oder „Kfz touchierte Fahrrad“ (Siehe auch K Kollision). Besser: Wagen krachte in einen Radfahrer. Die Pole an Absurdität gebührt einem Online-Portal aus Bonn: „45-jährige Radfahrerin stürzt in abbiegenden Lkw“. Das rügte sogar der Deutsche Presserat.

Z Zusammenfassung * Automobile, die Verkehrsgeräte mit den vielen grotesken Eigenschaften, sind und bleiben die uneingeschränkten Herrscher