Bürgerschaftswahlen in Hamburg: Danke, Hamburg!

Hamburg zeigt supersympathisch, was wahre Bürgerschaft heißt. Deutschland sollte sich daran ein Beispiel nehmen.

Anjes Tjarks beim Stagediven

Wahlsieger: Der Hamburger Vorsitzende der Grünen-Fraktion Anjes Tjarks feierte am Sonntagabend Foto: dpa

Bürgerschaft, das klingt ein wenig satt und zufrieden, nach Alster und Michel, denn so heißt in Hamburg das Parlament. Was aber wahre Bürgerschaft heißt, das hat sich am Sonntag gezeigt: Die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, sie holen sich ihre Politik zurück.

Ja, das Hamburger Ergebnis sagt erst mal nur etwas über Hamburg – aber was es sagt, daran sollte sich Deutschland verdammt noch mal ein Beispiel nehmen. In dieser Stadt haben die Menschen am Sonntag dokumentiert, dass sie ihre Demokratie stabil halten wollen. Dass sie zugleich endlich mit der Zukunft anfangen möchten, zuvorderst mit Umwelt- und Klimaschutz, denn ausweislich der Wahlnachfragen am Sonntag ist dies das wichtigste Thema, mit Abstand.

Eine Partei des Retro, die Ressentiment und Rassismus versprüht, holpert in diesem Hamburg nur gerade mal so ins Parlament. Die AfD am Limit. Danke, Hamburg!

In Hamburg war anderes wichtig. Wie viele Autos wollen wir im Stadtzentrum? Wie oft kommt der Bus? Was kostet er? Setzen wir im Kampf gegen die Klimakrise nur auf technische Erfindungen – oder müssen wir unser Leben ändern? Geht das Kohlekraftwerk Moorburg früher vom Netz? Was tun gegen die Wohnungsnot?

Nicht der Jurassic-Park

Nein, in Hamburg ging es nicht um die Krisen im Jurassic-Park von Berlin, jenem Abenteuer-Horror, bei dem man nie genau weiß, wann die Echsen umkippen und auf wen sie draufplumpsen. Die neuen Vorsitzenden der SPD wurden vorsorglich gar nicht eingeladen. Und der CDU in den aufgescheuchtesten Wochen ihrer Leidensgeschichte mag ja auch lieber niemand zu nahe kommen. All das schien weit weg, als läge Hamburg nicht an der Elbe, sondern irgendwo oben am Skagerrak. Die Hamburger diskutierten über ihren Alltag und ihre Zukunft. Super sympathisch, diese Stadt.

Und ja, diese Bürgerinnen und Bürger haben etwas hinbekommen, nicht nur weil sie die Wahlbeteiligung im Vergleich zum letzten Mal gesteigert haben. Sondern eben auch weil die AfD nur mickrige 5,3 Prozent schafft. Eine Partei, die in etlichen Wahlkämpfen den anderen ihre Sprüche aufgezwungen hat, war diesmal bloß am Schluss mit einer Frage präsent: ob sie überhaupt wieder reinkommt ins Parlament. Und das in einer Stadt, in der die rechtspopulistische Schill-Partei einst mit 19 Prozent in eine Regierung einzog. Aber vielleicht haben genau jene Jahre Hamburg einigermaßen immunisiert.

Diese Bürgerschaft ist nicht bürgerlich im Sinne des Bourgeois, was man in Hamburg wahrscheinlich mit dunkelblauen Goldknopfzweireiern oder grünen Wachsjacken verbindet und mit Pfeffersack übersetzt. Und erst recht bildet sich hier nicht jene „bürgerliche Koalition“, mit der sich die AfD zu maskieren versuchte. In Hamburg wirken Bürger als Citoyens, sie tragen das Gemeinwesen, stellen es über ihre Interessen, und ja: Dazu zählt auch eine Protestkultur, die nicht erst seit G20 hart für Bürgerrechte streitet.

Das ganze Setting ist umso eindrucksvoller, je mehr Deutschlands klassische bürgerliche Partei verfällt, die CDU. In Hamburg, wo es ihr sowieso selten gut ging, schaffte sie jetzt den Totalausfall. SPD und Grüne veranstalteten mit Peter Tschentscher und Katharina Fegebank einfach frech ihr eigenes Rennen.

Sozial-ökologische Spektrum wächst

Der strategische Erfolg der Grünen besteht auch darin, dass es ihrer Anhängerschaft mittlerweile völlig wurscht ist, dass die Partei im Bund auf eine Koalition mit der Union hinarbeitet, im Land aber Rot-Grün propagiert. Die Grünen nehmen trotzdem der Linkspartei Stimmen weg – als praktisch einzige Konkurrenz überhaupt.

Linke quer durch die Parteien heben nach Wahlen gern den Zeigefinger. Sie sagen dann mit gutem Grusel: Strukturell sind die Parteien rechts im Spektrum gefährlich stark, zwischen SPD, Grünen und Linkspartei wurden aber wieder mal nur Stimmen umverteilt.

Nun, in Hamburg kommen die drei zusammen auf 72,3 Prozent. Das liegt daran, dass sie mehr und mehr ausgreifen. Die Linkspartei profiliert sich mit Sozialthemen, hat zudem Erfolg bei Unter-25-Jährigen. Die SPD lässt der CDU wenig Raum, ist Honoratiorenpartei, Rentnerpartei und Polizeipartei. Die Grünen sind das Original in der Klimafrage. Kein linkes Lager ist das, sondern ein breites, links-liberal-sozial-ökologisches Spektrum voll Citoyens, die was wollen.

Und dafür steht Hamburg eben schon: Die Bürgerschaft, die diese Republik trägt, sie wandert nach links.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.