Agrarministerin zu Essen mit Pestiziden: Klöckners giftige Verteidigung

Die Politikerin dementiert, dass sie für Lebensmittelimporte mit gefährlichen Pestiziden kämpfe. Nach taz-Recherchen macht sie einen Rückzieher.

Ein Traktor fährt bei Göttingen über ein Feld und bringt mittels einer gezogenen Anhängespritze Glyphosat aus

Umstrittene Mittel: Pestizidspritze im Einsatz auf einem Feld bei Göttingen Foto: Steven Lüdtke/dpa

BERLIN taz | Kämpft Bundesernährungsministerin Julia Klöckner dafür, dass Lebensmittelimporte besonders gesundheitsschädliche Pestizide enthalten dürfen, die in der EU verboten sind? Die CDU-Politikerin hat entsprechende Berichte dementiert. Nach weiteren Recherchen der taz zog ihr Ministerium jedoch den wichtigsten Beleg für ihr Dementi zurück.

„Deutschland und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft haben sich zu keiner Zeit – wie es heute in der Presseberichterstattung heißt – dafür eingesetzt, Einfuhren mit solchen Pestiziden zu ermöglichen“, teilte Klöckner auf Twitter zunächst mit. Sie warf Renate Künast, ernährungspolitischer Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, vor, Nährboden für „Hate Speech“ zu bereiten, weil sie einen taz-Artikel mit den Vorwürfen verbreitet hatte. Den Autor beschuldigte die Ministerin, ihr etwas zu unterstellen, „ohne je mit mir darüber gesprochen zu haben“.

Die taz und in einem eigenen Report die Organisation Corporate Europe Observatory hatten am Montag berichtet, dass Deutschland sich zusammen mit Österreich und weiteren Mitgliedstaaten bei einer EU-Sitzung 2018 dagegen ausgesprochen habe, bestimmte Ackergifte automatisch auch in Einfuhren zu untersagen. Diese Pestizide dürfen in der Europäischen Union nicht gespritzt werden, weil sie Krebs verursachen, das Erbgut schädigen, die Fortpflanzung beeinträchtigen oder das Hormonsystem stören. Derzeit sind manche dieser Ackergifte immer noch in Einfuhren zugelassen.

Die taz hatte zwar nicht persönlich mit Klöckner dar­über sprechen können, aber auf dem üblichen Weg in der Pressestelle ihres Ministeriums angefragt. Dieses bestätigte, es setze sich „für eine risikoorientierte Bewertung von Rückständen ein“. Das bedeutet: Wenn die Behörden einen Grenzwert bestimmen, bei dem sie gesundheitsschädliche Wirkungen ausschließen, darf das Pestizid bis zu dieser Menge in Importen enthalten sein.

Kritiker befürchten, dass die Ämter gefährliche Nahrungsmittel auf den Markt lassen, wenn sie unter dem Druck der Chemielobby über jede Einfuhrtoleranz einzeln entscheiden müssen. Pestizidhersteller wie Bayer und BASF kämpfen für eine Risikoprüfung und gegen ein automatisches Verbot. Klöckner unterstützt das mit dem Argument, dass die Regeln der Welthandelsorganisation verlangten, das Risiko im Einzelfall zu prüfen. Diese Auslegung ist aber umstritten.

„Missverständlich formuliert“

Nachdem die Berichte erschienen waren, behauptete Klöckner, die risikobasierte Bewertung habe „bisher zu einer Ablehnung aller Anträge auf Importtoleranz“ für die wegen der Ausschlusskriterien verbotenen Pestizide geführt. „Das zeigt, dass die Verfahren in Brüssel, die Recht und Gesetz entsprechen, auch wirksam den größtmöglichen Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern sicherstellen.“

Auf Nachfrage der taz räumte Klöckners Pressestelle jedoch erst ein, dass nur für 2 solche Wirkstoffe Einfuhrtoleranzen abgelehnt worden seien: der Embryonen und die Fruchtbarkeit schädigende Unkrautvernichter Linuron und das wahrscheinlich krebserregende Pilzbekämpfungsmittel Iprodion. Dann gab das Ministerium zu, dass es gar nicht wisse, ob es nach den Verboten Anträge auf Importtoleranzen gegeben habe. „Dies war in unserer Antwort missverständlich formuliert – dieses Versehen bitten wir zu entschuldigen“, schrieb eine Sprecherin am Donnerstag der taz.

Zuvor hatte Klöckners Ministerium sich geweigert, seine Aussage durch ein Dokument zu belegen. Zuständig für solche Prüfungen ist die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit. Ihr Sprecher schrieb der taz: „Ich kann bestätigen, dass die Efsa keinen Antrag auf Importtoleranzen für diese beiden Substanzen bekommen hat.“

Das hätte das Ministerium schon vorher wissen können, sagte Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker der österreichischen Umweltorganisation Global 2000. Denn die aktuelle EU-Verordnung über Pestizidrückstände verbiete Einfuhrtoleranzen kategorisch, wenn das Mittel zum „Schutz der öffentlichen Gesundheit“ untersagt wurde. „Da darf es also gar keine Risikoprüfung geben“, so der Biochemiker.

„Klöckner hat suggeriert, dass sich das risikobasierte Verfahren bereits in vielen Fällen bewährt hat. Das stimmt nicht“, sagte Burtscher-Schaden. „Die meisten Fälle könnten erst noch kommen.“

Importe auch 5 Jahre nach Verbot

Dass die Risikoprüfung nicht immer funktioniert, zeigt Umweltschützern zufolge auch der Fall des Pilzbekämpfungsmittels Carbendazim: Es ist seit Ende 2014 in der EU verboten, weil es wahrscheinlich das Erbgut und die Fruchtbarkeit schädigt. Dennoch darf es bis heute in Lebensmitteln bis zu den Grenzwerten enthalten sein, die die EU vor dem Verbot festgelegt hat. Deren Überprüfung sei auch 5 Jahre nach der Entscheidung nicht abgeschlossen, teilte das Agrarministerium in Berlin der taz mit.

„Frau Klöckner versucht, die Öffentlichkeit mit einer offensichtlich unwahren Darstellung in die Irre zu führen. Sie will offenbar davon ablenken, dass sie in Brüssel daran arbeitet, den Schutz vor giftigen Lebensmittelimporten zu verwässern“, sagte Harald Ebner, Grünen-Bundestagsabgeordneter und Agrarexperte.

Österreich dagegen unterstützt Klöckners Position nicht mehr: „Wir werden keinen Aufweichungen bei Rückständen oder Pestizidgrenzwerten zustimmen“, sagte Jens Karg, Fachreferent für Lebensmittelsicherheit im Wiener Ministerium für Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, der taz.

Hinweis: Wir haben am 27.02.20 die Angaben des Agrarministeriums zu Linuron und Iprodion ergänzt. Die Passage war versehentlich gekürzt worden.

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