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Birte Müller
Die schwer mehrfach normale Familie
: Hilfe – die Dilettantisierung der Schulen schreitet voran!

Letzte Woche kam unsere Tochter mit muffeliger Laune aus der Schule. Erstaunlich, denn sie hatten einen Film geschaut. Ich fragte, ob der Film doof gewesen sei. „Nee“, antwortete sie, „aber wir mussten ihn auf dem Handy schauen.“

Es ist zwar nur ein kleiner Kurs, aber selbst mit zwölf Leuten macht es wenig Spaß, eine 90-minütige Dokumentation auf einem Smartphone-Display anzusehen. Als ich herauszufinden versuchte, warum sie den Film nicht „richtig“ geschaut hätten, winkte Olivia resigniert ab: „Mama, die ganze Scheiße funktioniert doch immer nicht.“

Damit decken sich die Erfahrungen meiner Tochter haargenau mit meinen, bei Lesungen in Hamburger Grundschulen. In manchen Klassenzimmern gibt es digitale Tafeln – sogenannte Smartboards – in manchen nicht. Manche Lehrer wollten keins und haben eins, andere wollen unbedingt eins und bekommen keins. Und der einzige erkennbare Standard ist: Ständig funktioniert die Scheiße nicht!

Mir tun die Lehrpersonen von Herzen leid, die bekannt dafür sind, sich „mit Technik“ auszukennen. Sie werden ständig von verbitterten Kollegen*innen aus dem Unterricht gezerrt, um dann die Sache zum Laufen zu bringen – alles mit 24 mittlerweile ausgeflippten Schülern im Nacken, die gute Ratschläge brüllen.

Und selbst wenn es in allen Klassen funktionierende digitale Tafeln und schnelles Wlan oder Tablets gibt – vom gigantischen Energieverbrauch ganz zu schweigen –, dann müssen die Lehrkräfte doch auch geschult werden, damit zu unterrichten, und es muss ganz neues Unterrichtsmaterial geben.

Wenn ich von den fünf Milliarden Euro aus dem Digitalpakt höre, bekomme ich nachts Albträume. Wenn die verbaut sind, bekommt man wahrscheinlich in den Schulen nicht mal mehr die Türen auf!

Es ist ja jetzt schon ein massives Problem, dass die normalen Schultafeln oft herausgerissen wurden und die Lehrer im Zweifelsfall nicht mal mehr etwas anschreiben können!

Meine Tochter hat in ihrem Englisch-Arbeitsheft eine CD liegen. Darauf stehen deutlich die Worte „Audio CD“. Am Tag vor der ersten Klassenarbeit hatten wir versucht, sie abzuspielen, da sie für eine Übung benötigt wurde. Wir haben drei CD Spieler, sie lief in keinem und weder mein Computer noch mein Laptop haben einen Slot für CDs! Ich wette, die meisten Eltern können sich das Drama an diesem Abend bei uns vorstellen.

Olivia gab die CD dem Lehrer später zurück und bekam eine neue. Beim nächsten Mal waren wir immerhin zwei Tage vor der Klassenarbeit so weit, sie auszuprobieren. Aber auch die neue CD funktionierte nicht. Zum Glück war mein Mann im Haus, er ist bei uns der Bemitleidenswerte, der sich „mit Technik“ auskennt. Er entdeckte, dass zusätzlich zu den Worten „Audio CD“ auch noch „MP3“ auf dem Datenträger stand. Vielleicht bin ich zu blöd, aber ich dachte bis dahin, das schlösse sich aus.

Matthias hat ein externes Laufwerk und konnte die mehreren Hundert Audio-Dateien an seinem Computer einlesen. Allerdings ist sein Rechner ein Schnittplatz für Filme und definitiv nicht der Ort, an dem seine Tochter Hausaufgaben machen darf. Also wollte er die Daten „einfach“ auf Olivias iPod kopieren.

Es stellte sich heraus, dass das neue Betriebssystem von Apple anscheinend nicht mit einem iPod der älteren Generation zu synchronisieren ist.

Birte Müller, 45, ist Bilder-buchillustratorin, Autorin und Mutter zweier Kinder: Willi (12) mit Downsyndrom und Olivia (10) mit Normalsyndrom. Mehr Informationen auf www.illuland.de

Nach vielen Stunden Recherche und zwei mittelgroßen Anfällen von Technik-Tourette rief Matthias am nächsten Tag im Support an. Der Mitarbeiter erklärte, dass es mit Vintage-Geräten und dem neuen ­MacOS leider schwierig sei. Mein Mann wies darauf hin, dass er nicht etwa versuchen würde, ein verdammtes Grammofon an den Computer anzuschließen, sondern nur einen iPod classic – dafür verbannte ihn der Service-Heini in die ewige Warteschleife.

Ich habe wirklich keine Ahnung, wie der gemeinsame digitale Nenner von Schule und Elternhaus aussehen soll, wenn wir nicht mal in der Lage sind, eine CD abzuspielen!

Falls unsere Tochter aber eine Vinyl-Platte aus der Schule mitgebracht hätte, dann hätte die Scheiße wenigstens funktioniert! Zugegeben wäre es ziemlich nervig gewesen, die Rillen bis zu Track 177 abzuzählen, welchen sie für die Aufgabe anhören sollte.