Das Kita-Chaos-Gesetz

Während die anderen Nordländer die Gebühren für Kindertagesbetreuung weitgehend abgeschafft haben, verunsichert Schleswig-Holstein Eltern mit neuen Regelungen

Einfach spielen, das wäre schön Foto: Carsten Rehder/dpa

Von Eiken Bruhn

Schleswig-Holstein ist im Norden das einzige Land, in dem Eltern für Kindertagesbetreuung zahlen müssen. Statt die Gebühren abzuschaffen, versucht sich das Land erst einmal an einer einheitlichen Gebührenordnung. Derzeit kosten Ganztagsplätze zwischen 150 und 730 Euro, je nachdem, wie viel Geld die Kommune in die Kindertagesbetreuung investiert. In Zukunft sollen es maximal 233 Euro für Kindergartenkinder sein.

Das im Dezember beschlossene Kita-Reform-Gesetz, das zum August dieses Jahres in Kraft tritt, soll auch die Betreuungsstandards vereinheitlichen und ganz generell „Eltern entlasten“, wie es das Sozialministerium sagt, und „die Qualität verbessern“.

Doch derzeit verursacht das Gesetz oder besser dessen Handhabung durch Land und Kommunen vor allem Chaos und eine große Verunsicherung von Eltern. Einige von ihnen befürchten sogar, dass sie in Zukunft höhere Beiträge als bisher zahlen müssen – und kürzere Betreuungszeiten und weniger Personal haben werden.

Das betrifft vor allem Eltern in Städten und Gemeinden, die bereits jetzt einen guten Personalschlüssel haben, teils sogar einen besseren, als es das neue Gesetz vorschreibt, und relativ geringe Elternbeiträge zahlen müssen.

Ein Beispiel ist Lübeck. Jenny Scharfe, Projektleiterin bei den Stadtwerken, hat dort das Online-Forum „Elternstimme“ gegründet. Sie zahlt für ihre drei Kinder zwischen zwei und sieben Jahren derzeit rund 500 Euro Gebühren – in Zukunft könnten es 880 Euro sein. Das hängt davon ab, ob es zukünftig weiter eine Ermäßigung für Geschwister geben wird, wenn die einen Hort nach der Schule besuchen. Möglich wäre das nach dem neuen Gesetz – aber das schreibt es den Kommunen nicht vor.

Die Kreiselternvertretung hatte Anfang des Monats aus dem gleichen Grund einen offenen Brief an die Lokalpolitiker*innen geschrieben, der in Kopie auch an die Landtagsfraktionen sowie den Sozialminister Heiner Garg ging. Der Brief fordert den Lübecker Kreistag in erster Linie dazu auf, den Trägervereinen von Kindertagesbetreuung eine Sicherheit zu geben, dass die Stadt Lübeck die Kosten übernimmt, die nach dem neuen Gesetz möglicherweise nicht mehr abgerechnet werden können.

Der konkrete Anlass für den Brief war, dass der mit 37 Einrichtungen größte Träger der Stadt, das evangelische Kitawerk, aufgrund der unklaren Finanzierungssituation begonnen hatte, Personal abzubauen. „Wir können derzeit keine neuen Verträge mit den Eltern abschließen, weil wir nicht wissen, welche Betreuungszeiten wir anbieten können“, sagte Nadine Wiederhold, die pädagogische Leiterin des Kitawerks der taz. „Wir brauchen Planungssicherheit.“

Doch die bekommt es voraussichtlich erst Ende des Monats. Am 27. Februar soll die Bürgerschaft beschließen, was die Stadt in Zukunft finanzieren will – wenige Tage zuvor, am Montag, sollen sich die Fraktionen nach einem Gespräch mit der Sozialsenatorin auf einen gemeinsamen Antrag einigen. So sagt es Jörn Puhle, jugendpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Nun dringen die Oppositionsparteien FDP, Grüne, GAL und Linke aber schon seit Monaten darauf, per Bürgerschaftsbeschluss Planungssicherheit herzustellen.

Gar keine Beiträge mehr für Kindergartenkinder über drei Jahren fallen seit kurzem in Bremen und Niedersachsen an.

In Hamburg müssen Eltern nur zahlen, wenn sie mehr als fünf Stunden Betreuung in Anspruch nehmen. Das gilt dann aber auch schon für die ganz Kleinen.

Überhaupt keine Elternbeiträge mehr fallen seit diesem Jahr in Mecklenburg-Vorpommern an.

„Ich habe den Trägern in persönlichen Gesprächen und der Presse immer gesagt, dass wir niemand im Regen stehen lassen und nicht unter bestehende Standards zurückgehen“, versichert Puhle der taz. Aber einem Beschluss dazu in der Bürgerschaft, wie es die Oppositionsfraktionen wollten, hätten CDU und SPD nicht zustimmen können, weil keine konkreten Zahlen des Landes vorgelegen hätten. „Solange wir die nicht haben, können wir doch nicht sagen, ob wir etwas zurückfahren müssen.“ Einen Widerspruch in seiner Argumentation kann Puhle hier nicht erkennen.

Der Hintergrund: Das Land Schleswig-Holstein gibt den Kommunen Geld für die Refinanzierung der Kindertagesbetreuung, sogar mehr als vorher. Doch es ist möglich, dass dies nicht alle Kosten abdeckt – etwa wenn die Personalausstattung besser ist, als es das Gesetz vorschreibt, oder die Öffnungszeiten sehr lang.

Nun sagen sowohl Vertreter der Landesregierung als auch der Stadt Lübeck, die jeweils andere Seite sei dafür verantwortlich, dass keine belastbaren Zahlen vorlägen, anhand derer eine Berechnung stattfinden könnte. „Das Land hat nur eine Summe genannt, was Lübeck bekommen wird“, sagt Jörn Puhle von der SPD-Fraktion. Der Sprecher des Sozialministeriums wiederum sagte der taz, dass Lübeck erst am Montag dieser Woche seine Kosten aufgeschlüsselt habe.

Den betroffenen Eltern hilft dies alles wenig. „Mich stört, dass sich Stadt und Land gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben“, schreibt Mandy Gemander, eine Alleinerziehende aus Lübeck mit zwei Kindern. Sie hat keine Zeit zu telefonieren, sagt sie, weil sie zwei Jobs habe. Anders könne sie die Kosten für die Kindertagesbetreuung nicht aufbringen.