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: Sie sind mitten unter uns

Deutschland 2005: Sie sind mitten unter uns. Und wer weiß: Vielleicht ist es der Nachbar. Oder die Nachbarin. Hat er sich nicht immer schon so unauffällig benommen? Hat sie einem nicht kürzlich erst so unverbindlich zugelächelt, als man sich im Hausflur begegnete? Man will ja nichts gesagt haben, aber: Arbeiten die nicht beim Fernsehen?!

Seit vor einigen Wochen – zu unser aller Überraschung – bekannt geworden war, dass es im deutschen Fernsehalltag so was wie Schleichwerbung geben soll, ist nichts mehr, wie es war! Kann sein, wir leben längst in einer unwägbaren Welt, womöglich haben wir ohnehin den Überblick verloren und der Mann mit den Einkaufstüten ist ein Friseur, Sozialschmarotzer, Steuerhinterzieher, Triebtäter oder Schläfer. Doch jetzt könnt’s obendrein auch so ein Schleichwerber sein.

Und so wie vor Jahren plötzlich unter Stasi-Verdacht stand, wer beim MDR arbeitete, wird jetzt quasi jeder Fernsehfuzzi misstrauisch beäugt und, bei Bedarf, groß angeprangert. Bild etwa zeigte uns Paparazzifotos von „ARD-Star Jürgen Emig“, wie er „nach Teilgeständnis aus der Haft entlassen“ wird, der Berliner Kurier meldet: „Nina Hoger unter Verdacht“ – und nun ist auch noch Veronika Ferres in eine „Affäre um Produktplatzierungen“ (Spiegel) verwickelt, nachdem sie in einem ZDF-Film kurzzeitig eine Creme-Packung der Firma „Diadermine“ in der Hand gehalten hatte, für die Frau Ferres selber Werbung macht. Es wird ermittelt, spekuliert und denunziert.

Die Fahnung läuft. Und geben wir’s ruhig zu: Sie macht uns einen Heidenspaß, nicht wahr? Da liegen bei Zeitungsredaktionen neuerdings auch gern mal anonym verfasste Briefe in der Post mit noch mehr Neuigkeiten aus dem TV-Werbesumpf. Und daheim sitzt die Familie wie eh und je vorm „Tatort“. Nur grübelt sie nicht mehr, wer wohl der Mörder ist, sondern fahndet gemeinsam nach Szenen, in die sich („Da!“) wohl wieder eins dieser bösen Placements eingeschlichen hat. Man fühlt sich gut dabei als Medienkonsument: so aufgeklärt und abgeklärt und mündig – genau so also, wie uns die Werbung ohnehin verstanden wissen will, sobald sie uns verarscht.

CHRISTOPH SCHULTHEIS