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: China verschiebt Volkskongress

Wegen der Coronavirus-Epidemie verschiebt China erstmals die jährliche Sitzungdes Nationalen Volkskongresses. Ein neuer Termin steht noch nicht fest

Das Neue

Zum ersten Mal in der 70-jährigen Geschichte der Volksrepublik China hat die Regierung den Nationalen Volkskongress auf unbestimmte Zeit verschoben. Das mit knapp 3.000 Mitgliedern größte Parlament der Welt tagt für gewöhnlich Anfang März in der Großen Halle des Volkes in Peking. Kritiker nennen die zehntägige Sitzung aufgrund ihrer eingeschränkten Entscheidungsmacht auch Schaubühne einer Scheindemokratie. Für internationale Beobachter ist beim Volkskongress vor allem eine Zahl von Interesse: Premierminister Li Keqiang wird in einer Grundsatzrede die Wachstumsziele Chinas für das laufende Jahr ausgeben.

Der Kontext

Die Verschiebung des wichtigsten politischen Ereignisses im Jahr wurde mit der Bedrohung des Coronavirus begründet. Zwar flacht die Wachstumskurve an Neuinfizierten bereits seit Tagen für alle chinesischen Provinzen ab. Im Epizentrum Wuhan und der umliegenden Provinz Hubei scheint das Virus nach wie vor außer Kontrolle: Am Montag gab die Gesundheitskommission in Peking 150 neue Virustote bekannt – so viele wie noch nie innerhalb von 24 Stunden. Im gleichen Zeitraum haben sich 409 Menschen in China angesteckt, insgesamt sind es bis Redaktionsschluss über 71.000 Infizierte im ganzen Land. Das Virus hat nicht nur das öffentliche Leben lahmgelegt, sondern auch die politische Kommunikation verändert: Immer mehr Parteikader treten öffentlich mit Gesichtsmasken auf, Pressekonferenzen des Außenministeriums wurden vorübergehend „online“ abgehalten. Eine Massenveranstaltung wie der Volkskongress wäre nicht nur eine gesundheitliche Bedrohung für die politischen Zirkel. Es würde auch die strikten Quarantänemaßnahmen gegenüber der Bevölkerung konterkarieren: In fast allen Städten sind öffentliche Versammlungen untersagt.

Die Reaktionen

Reaktionen blieben weitestgehend aus. Die Verschiebung wurde letzte Woche schon angedeutet und von Experten erwartet.

Die Konsequenz

Für Chinas Regierung ist das Verschieben des Volkskongresses auch ein öffentlicher Gesichtsverlust. Die zweitwichtigste Volkswirtschaft der Welt muss eingestehen, dass es den Virusausbruch auch einen Monat nach Beginn der ersten Quarantänemaßnahmen nicht unter Kontrolle bekommen hat. Wenn Premier Li Keqiang jedoch auf dem auf ein unbekanntes Datum verschobenen Volkskongress das jährliche Wirtschaftsziel ausruft, dann wird dies deutlich nach unten korrigiert werden müssen. Vor 17 Jahren konnte China die Einbußen durch die Sars-Epidemie noch im laufenden Jahr dank eines massiven Konjunkturpakets wieder ausgleichen. „Damals hatte die Regierung auch noch sehr viel mehr Geld und der Markt einen ungleich stärkeren Bedarf“, sagt Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking: „Heute hat China zwar die beste Infrastruktur der Welt, jedoch einen riesigen Schuldenberg. Da jetzt wieder einen solchen Effekt herzustellen wie bei Sars, ist de facto unmöglich.“

Fabian Kretschmer