Claudius Prößer geht mal wieder auf die Berlinale
: Trash und Tränen zum Schämen

Normalerweise schreiben hier nur Menschen über die Berlinale, die sich beruflich mit der Kinematografie befassen und das Festival für eine verlängerte Woche zu ihrem Wohnzimmer machen. Das soll auch so bleiben. Nur heute und hier kommt mal einer zu Wort, der der Filmkunst sehr zugeneigt ist, den aber allein das überbordende Festspielprogramm dermaßen überfordert, dass er die tollen Tage rund um den Potsdamer Platz lieber meidet. Diesmal aber ist er unverhofft in den Genuss eines Wettbewerbs-Tickets gekommen und freut sich dann doch: Im Berlinale-Palast war er nämlich – unglaublich, aber wahr – noch nie. Und ein Streifen, der in die Konkurrenz um die Bärchen treten darf, kann so schlecht ja nicht sein. Sonst weiß er über „Le sel des ­larmes“ des französischen Regisseurs Philippe Garell genau genommen gar nichts. Surprise, mon cher!

Dabei hätte er gewarnt sein können: Bei einem Titel wie „Das Salz der Tränen“ kann man wohl nichts erwarten als, excusez mon allemand, gequirlte Romantik-Kacke. Junger hübscher Mann kommt nach Paris, lernt junge hübsche Frau kennen, salut, treffen wir uns heute Abend, na klar, bisous, à bientôt … Es wird noch ein bisschen komplizierter, aber nicht allzu sehr, und es bleibt 100 quälende schwarzweiße Minuten lang hölzern, klischeebeladen und dröhnend langweilig.

Der Applaus für den anwesenden Regisseur und seine jungen DarstellerInnen dauert dann auch höchstens 20 Sekunden, c’est tout. Wie kann man einen solchen Schmarrn zum Wettbewerbsbeitrag adeln? Laut Berlinale-Seite handelt es sich bei „Le sel des larmes“ um eine „großartige Erzählung über die Grausamkeiten, die Liebende sich zufügen und erleiden“. Wer diesen Satz geschrieben hat, sollte mit nicht unter 100 Folgen deutscher Vorabendserien bestraft werden.

Nur eines findet der schon wieder zum Nicht-Berlinale-Gänger Rückbekehrte noch schlimmer: das unbeschreiblich geschmacklose Setting am Potsdamer Platz. Die billige Architektur des Musicaltheaters, in dem der Berlinale-Palast residiert, ist das eine. Aber dass auf der Alten Potsdamer Straße, die darauf zuführt – sozusagen der Berlinale-Magistrale –, immer noch eine Weihnachtsglitzerdeko in den Linden hängt? Mit diesen animierten LED-Eiszapfen oder -Schneeflocken, was auch immer das sein soll? Für diesen Riesen-Mega-Trash, durch den das internationale Publikum spazieren muss, schämt sich der Fliehende noch mehr als für das Salz fremder Altherrentränen. Adieu, Berlinale, à la prochaine. Oder auch nicht.

berlinale 22–