Gesetzliche Impfpflicht: Keine Macht den Masern

Ab dem 1. März gilt bundesweit die Masernimpfpflicht. Ausdisktutiert ist das Thema noch nicht – an Schulen und Kitas gibt es viele Fragen.

Gelber Impfpass, Masern angekreuzt

Bis Juli 2021 müssen viele Kreuze gemacht werden Foto: picture alliance/Marius Becker/dpa

BERLIN taz | Ab dem 1. März gilt für Kinder in Kitas und Schulen die Impf­pflicht gegen Masern. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat dieses Gesetz Ende Dezember 2019 bundesweit durchbringen können. Jetzt muss es durchgesetzt werden – aber wie?

Vorerst gilt die Masernimpfpflicht für alle Kinder, die neu in die Kita oder Schule kommen. Für alle anderen kann der Nachweis bis Juli 2021 erbracht werden. Betroffen sind auch erwachsene Personen, die nach 1970 geboren sind und in medizinischen Einrichtungen wie Kliniken arbeiten.

Ebenso gilt das für ErzieherInnen, Tagesmütter- oder -väter und LehrerInnen. AsylbewerberInnen und Flüchtlinge müssen laut Bundesgesundheitsministerium ebenfalls einen Nachweis für die Masernimpfung erbringen, vier Wochen nachdem sie in eine Gemeinschaftsunterkunft aufgenommen wurden.

Masern seien keine harmlose Kinderkrankheit, betonte Spahn. Die Impfpflicht greife zwar in die Freiheit des Einzelnen ein, aber zum Freiheitsbegriff gehöre auch, andere nicht durch Ansteckung zu gefährden. In Berlin wurden im vergangenen Jahr 22 Fälle von Masern gemeldet. Der Wert sei niedrig, die Krankheit aber hochansteckend und die Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr.

Bußgeld bis zu 2.500 Euro

Eltern müssen deshalb künftig nachweisen, dass ihre Kinder geimpft worden sind, etwa durch den Impfpass oder eine Bescheinigung vom Arzt. Die Schulen und Kitas vermerken das. Bei nicht geimpften Kindern wird das Gesundheitsamt benachrichtigt. Dies kann für den Ausschluss aus der Kita sorgen oder Bußgelder bis zu 2.500 Euro verhängen.

Bei den Berliner Schulen und Kitas stößt die gesetzliche Impfpflicht auf verschiedene Reaktionen. Das Thema ist nicht nur medizinischer, sondern auch emotionaler Natur. „Wir begrüßen die Impfpflicht nicht, da die Verlagerung in den Kita- und Schulbereich ein Unding ist“, sagt etwa Babette Sperle, Sprecherin des Dachverbands Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS), auf taz-Nachfrage. Denn: Wie bei der Impfpflicht agiert werden müsse, sei „schwierig und übergriffig“.

Sperle kritisiert, dass die ErzieherInnen zu einer „Verwal­tungs­assistenz“ gemacht würden. Zudem würde ein falscher Eindruck von den Eltern entstehen. Denn 97 Prozent der Kinder haben, auch laut Bundesgesundheitsministerium, die Masern-Erstimpfung. „Die tatsächlichen Zahlen bestätigen das Feindbild der Impfgegner-Eltern nicht“, so Sperle. Die Impfbereitschaft läge weit über der Empfehlung des Weltgesundheitsverbands, sie sei nicht das Problem.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) begrüßt die Impfpflicht. Den bürokratischen Mehraufwand, der bei den Schulen liegt, kritisiert auch VBE-Landesvorsitzende Heidrun Quandt gegenüber der taz. Die Impfpflicht sei nicht von der Theorie bis zur Praxis durchdacht. Zudem erschwere der Datenschutz die Arbeit. „Impfpässe dürfen nicht einfach kopiert werden, wir müssen einen extra Vermerk anfertigen“, so Quandt.

Generell gäbe es bei medizinischen Angelegenheiten viele Fragezeichen an den Schulen, etwa auch bei Kindern mit Diabetes oder Asthma. „Wir brauchen endlich medizinisches Personal an den Schulen“, fordert deshalb Quandt, die dann auch die Masernimpfungen checken könnten.

„Handlungssicherheit für Schulen und Kitas“

Vonseiten der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) klingt es ähnlich. „Die Impfpflicht ist richtig und wichtig“, sagt Sprecher Markus Hanisch. Trotzdem sorge das Gesetz für Unsicherheit. Schulen und Kitas bräuchten aber „Handlungssicherheit, um den dauerhaften Mehraufwand zu bewältigen“.

Bekommen Lehrer und ErzieherInnen ohne Impfung Berufsverbot?

Gegenüber der taz kritisiert Hanisch, dass erst kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes, seit weniger als zehn Tagen, die offiziellen Handlungsanweisungen des Senats vorliegen. „Das kann man nicht nur dem Senat ankreiden“, so der GEW-Sprecher. „Das ganze System platzt aus allen Nähten.“

Bei der Sinnhaftigkeit der Impfung ist man sich einig, aber es tun sich weitere Fragen auf: Wer haftet bei einem falschen Vermerk? Was passiert mit den Betreuungsverträgen, wenn ein nicht geimpftes Kind von der Kita ausgeschlossen wird? Überwiegt die Schulpflicht die Impfpflicht? Bekommen ErzieherInnen und LehrerInnen ohne Masernimpfung Berufsverbot?

Ohne Impfung drohen Bußgelder

Laut Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF) steht die Schulpflicht über der Impfpflicht. Auf Eltern von Kindern ohne Masernimpfung kommen aber Bußgelder zu, das Gesundheitsamt müsste dann eine Lösung finden.

„Warum kann der Schularzt die Kinder nicht impfen?“, fragt VBE-Vorsitzende Quandt. Beim DaKS trifft das auf Ablehnung: „Man sollte die Kinder nicht zum Spritzen aufreihen“, so Sperle. Bei der Einschulungsuntersuchung soll künftig erfasst werden, ob Kinder gegen Masern ­geimpft sind, teilt ­SenBJF-Sprecher Martin Klesmann auf Anfrage mit. Zu einem Berufsverbot für ungeimpfte LehrerInnen nach Juli 2021 kann er nichts sagen.

Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung kämpft aktuell eher mit Fragen zum Coronavirus. „Nur die Einrichtungen (Schulen/Kitas) haben den Überblick“, schreibt Sprecher Oliver Fey auf taz-Nachfrage. Darauf seien die Gesundheitsämter angewiesen. Impfungen würden „in erster Linie“ von niedergelassenen Ärzten durchgeführt, nicht vom Schularzt. Für Fragen wolle man allen Einrichtungen AnsprechpartnerInnen zur Verfügung stellen.

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