Ein Spektakel auf Reisen

BEN HUR Das Wagenrennen aus dem Filmklassiker kennt fast jeder. Nun geht die Geschichte des jüdischen Prinzen, der von Jesus bekehrt wird, in aufwendiger Show auf Tournee. Bespielt werden keine Theater, sondern die Stadien dieser Welt. Ein Besuch bei der Deutschlandpremiere in Hamburg

Das Buch: 1880 schrieb der amerikanische Politiker Lew Wallace einen Bestseller mit dem Originaltitel „Ben Hur: A Tale of the Christ“. Darin erzählt er vom Prinzen Judah Ben Hur, der zur Zeit Jesu in Jerusalem lebt.

■ Der Film: „Ben Hur“ wurde unter anderem 1959 von William Wyler verfilmt. Mit Charlton Heston in der Hauptrolle erzielte der Film einen Oscar-Rekord: 11 Auszeichnungen gingen an das Monumentalwerk, unter anderem für den besten Film, die beste Regie, die beste Filmmusik und das beste Kostümdesign.

■ Die Aufführung: Weltpremiere war am 15. September in London, Deutschlandpremiere am 25. September vor 8.000 Zuschauern in Hamburg. Demnächst ist die Show unter anderem in Stuttgart, München und Berlin zu sehen. Neben 400 menschlichen Darstellern kommen etwa 100 Tiere zum Einsatz. Kamele, Greifvögel, Ziegen, Esel und mehr als 40 Pferde wurden von Trainer Nicki Pfeifer vorbereitet. Die Aufführung dauert 130 Minuten. Die Preise liegen zwischen 35 und 128 Euro.

VON ALBERT HEFELE

Wenn man sich der Color Line Arena in Hamburg nähert, kommt man auch an der HSV-Arena vorbei. Und an einem riesigen nackten Fuß, der zu einer Komplettfigur von zirka 25 Meter Höhe gehören könnte und angeblich nach Uwe Seelers rechtem Original gefertigt ist. Ein etwas seltsamer Gigantismus, der sicher nicht zu Uwe Seeler, aber durchaus zur HSV-Arena (eigentlich HSH Nordbank Arena) und der daneben liegenden Color Line Arena passt. Denn auch die ist nicht von Pappe, was ihre Ausmaße angeht. Wenn der Innenraum nicht genutzt werden kann, bleibt immer noch Platz für 13.000 Besucher.

Trotzdem – ausladend hin oder her – beschäftigt den Besucher des hier Ende September stattfindenden Ben-Hur-Spektakels von der ersten Minute an die Frage: „Wie soll das gehen?“ Nämlich das berühmte Wagenrennen in diese Dimensionen zu stopfen. Denn – und daran führt kein Weg vorbei – Ben Hur ist das Wagenrennen. Wer unter den zigtausend Besuchern auch nicht eine Zeile der Restgeschichte kennt, kennt auf jeden Fall das Wagenrennen. Und will sehen, wie die das hinkriegen.

Die Beantwortung der Frage lässt aber noch auf sich warten, bis dahin müssen immerhin knappe zwei Stunden gefüllt werden. Die Plätze in der Arena sind nicht grade billig, also muss ein entsprechendes Spektakel her. Was sich anfangs tut, ist relativ wenig, ein Stadionsprecher raunt, man möge erstens den Anweisungen des Sicherheitspersonals folgen und zweitens den Alltag vergessen. Dann stolziert ein etwas beleibter Herr in Smokingjacke und Homburger Hut herein, der einem bekannt vorkommt. Es ist Berlins Hans Dampf in allen Gassen: Ben Becker. Leider nicht im frühchristlichen Wickeltuch, sondern wie immer: ganz in Schwarz und mit mächtig funkelndem Siegelring. Ein übergewichtiger Pan Tau, der eine zweitausend Jahre alte Geschichte zu erzählen hat. So ungefähr könnte man seine Rolle deuten. Trotzdem schwankt man in der Beurteilung zwischen albern und beeindruckend. Eine Stimme, die für große Geschichten taugt, hat er jedenfalls. Und seit seinem Projekt: „Die Bibel – Eine gesprochene Symphonie“ offenbar auch eine Affinität zu frühchristlichen Inhalten entwickelt. Abgesehen davon nimmt er eine durchaus wichtige Rolle im Spektakel ein. Denn die Macher von Ben Hur haben – vermutlich wegen der Authentizität – so entschieden, dass die Akteure Latein oder Aramäisch sprechen.

Da man davon ausgehen kann, dass sich nur ein geringer Prozentsatz des Publikums aus Philologen und Professoren für Semitistik rekrutiert, musste einer her, der für den Pöbel übersetzt. Ben Becker knarzt also in die Arena, manchmal aus dem Off, um dann plötzlich wieder inmitten des Geschehens wie aus dem Nichts aufzutauchen, immer noch in Smokingjacke und mit Homburg. Ein Zeitreisender inmitten des christlich-jüdischen Spektakels um Judah Ben Hur und den Römer Messala.

Superlative ohne Ende

Ein Spektakel, das einen gigantischen Aufwand erfordert. 400 Akteure (Schauspieler und Crew), 12 Tonnen Lichttechnik, 310 Lautsprecher, tonnenweise Tontechnik, Spezialeffekte, 1.000 unterschiedliche Kostüme, mehr als 4.000 Requisiten, Artisten, Feuerschlucker, Pferde, Falken, Tauben und, und und. Die Superlativen nehmen kein Ende und können dennoch nicht verhindern, dass die gesamte Produktion hin und wieder an ihre Grenzen stößt. Die Arena wird zu 360 Grad bespielt, wen wundert’s also, wenn das Auge des Zuschauers ohne Fixpunkt in der Show herumirrt und die Produktion zudem noch an ihre Grenzen stößt? Eine Seeschlacht ist nun mal nicht in einem riesigen Sandkasten zu simulieren, ohne dass einiges unfreiwillig komisch wirkt. „Galeerensträflinge“, die ein dürres Schiffsgerüst auf Gummirädern durch die Gegend schieben, schauen zwar rührend aus, im Innersten aufgewühlt wird man bei diesem Anblick nicht. Von „Piraten“, die auf Strandbuggys durch den guten alten Trockennebel zum Angriff blasen, ganz zu schweigen.

Natürlich gibt es auch genügend gelungene Szenen. Dafür sind zu viele erstklassige Profis am Werk. Siehe die aufwendig inszenierten Massenszenen aus der Kategorie „Buntes orientalisches Leben“ und „Orgien bei Römers“. Da kocht und brodelt es in beeindruckender Buntheit und Vielfalt, aber das kennen Musicalfans aus „Cats“ oder „Phantom der Oper“, zugegeben eine ganze Nummer kleiner, in ähnlicher Pracht.

Was sie nicht kennen, ist eine Musik wie die von Stewart Copeland. Die ist gut und erfrischend anders als die übliche klebrige Musicalsoße. Man tut Produzent Franz Abraham auch Unrecht, wenn man ihm unterstellt, dass er mit Police-Drummer Copeland lediglich einen prominenten Namen auf dem Plakat haben wollte. Copeland hat seine Kindheit in Ägypten und im Libanon verbracht und verfügt so über eine zumindest fragmentarische Beziehung zur Musik und vor allem zur Rhythmik der Region im Nahen Osten. Man hat sich was dabei gedacht, und das hört man.

Produzent Franz Abraham hat sich überhaupt viel gedacht, schließlich geht er mit seinem Ben-Hur-Projekt schon über zehn Jahr schwanger. Kein Wunder, der jetzige Eventmanager war in seinem früheren Leben Rennfahrer und damit ein Quasikollege der alttestamentarischen Wagenlenker. Von Rennen hat er also Ahnung, mehr aber noch vom Geldverdienen. Und genau darum geht es. Da kann Abraham noch so entschlossen um Inhalte ringen: „Wir machen Ben Hur, aber nicht als billiges Spektakel, sondern als spirituelles Ereignis. Ben Hur ist mehr als ein Wagenrennen“. Ist es nicht. Zumindest nicht in Abrahams Inszenierung. Die Geschichte der Person Ben Hur geht hier nahezu komplett unter.

Der Roman erschien 1880 und ist eine ziemliche Schmonzette. Von enttäuschter Männerfreundschaft, die letztendlich in Todfeindschaft umschlägt. Von Mutter und Tochter, die im Kerker verderben und sich da die Lepra holen. Und von Jesus, dessen Geschichte immer wieder mit der von Judah Ben Hur verwoben ist und der letztendlich dafür sorgt, dass alles irgendwie gut wird. Eine Schmonzette, wie gesagt, die aber mit den Möglichkeiten des Kinos und mit dem Zeitgeist von 1959 dramatisch gut realisierbar war (Charlton Heston in der Totale).

Die Besuchern wollten auf jeden Fall und in erster Linie das Wagenrennen. Sie bekamen es. Und es beeindruckte ohne Wenn und Aber

In der Liveversion ist das naturgemäß wesentlich schwieriger. Da turnen die Helden aufgrund der Entfernung mehr oder weniger anonym durch den Sand, und ihre Dialoge werden auch mithilfe von Headset und monumentaler Soundanlage nicht beeindruckender. Wer den Film nicht kennt, wird sich angesichts der aus einem Styroporfelsen kletternden leprösen Mutter Hur ein Kichern nicht verkneifen können. Von der Friedensbotschaft Jesu ganz zu schweigen. Und – wenn wir schon von Spiritualität reden – die Figur des Jesus ist ungefähr so charismatisch wie ein fusselbärtiger Student in der Abteilung Sozialpädagogik. Sollte dessen Botschaft irgendjemand erreichen, dann wäre das ein wirkliches Wunder. Den Besuchern war es auch egal, sie wollten auf jeden Fall und in erster Linie das Wagenrennen. Und sie bekamen es. Und es beeindruckte ohne Wenn und Aber. Vor allem durch Tempo und das Können der Wagenlenker. Denn die mussten fünf Vierergespanne ums Geviert kriegen, was spürbar nicht einfach war. Zwanzig Pferde können schon mal die eine oder andere unberechenbare Kapriole schlagen und im ungünstigsten Fall den einen oder anderen Streitwagen aus der Kurve schleudern. Womit wir bei einer wichtigen Dimension der Abraham’schen Ben-Hur-Aufführung angelangt wären: der Gefahr. Es waren einige artistische Einlagen im Programm, die hätten schiefgehen können, denn Netz und doppelter Boden fehlten.

Der Faktor Nervenkitzel

Vielleicht ist Ben Hur der erste Schritt in eine Eventkultur, die den Faktor Nervenkitzel mehr in den Vordergrund stellt. Ein Faktor, der grundsätzlich dafür verantwortlich ist, dass Sportereignisse wie Formel-Eins-Rennen und Skifliegen so interessant sind. Es ist gefährlich. Es kann was schiefgehen. Abraham kann sich schon mal Gedanken machen, neue Herausforderungen warten. Katastrophen jeder Art würden sich anbieten. Vielleicht der Untergang der „Titanic“ im gefluteten Innenraum. Terroranschläge, irgendwas mit dem 11. September. Schöne Projekte, die ihrer Realisierung harren.

Ben Hur wird nun auf eine weite Reise geschickt. Über die großen Stadien in Europa, unter anderem dem Circus Maximus in Rom, soll das Spektakel 2010 in Australien landen.

Ob sich dies letztendlich alles rechnet, wird Franz Abraham noch viele unruhige Nächte bescheren. Der Jubel des Publikums in Hamburg hielt sich jedenfalls in Grenzen. Ausverkauft war die Arena nicht. Seltsam: Vor allem die billigen Plätze wiesen erhebliche Lücken auf. Ein Zeichen, was das Interesse des Massenpublikums angeht? Vielleicht aber nur ein Hinweis, dass im Moment zu wenig Mammon für Brot da ist, um sich Spiele leisten zu können.