die woche in berlin
: die woche in berlin

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh macht mit einem Fernsehauftritt und Äußerungen über die mangelnde Demokratiefähigkeit mancher Parteien (womit er nicht nur die AfD meinte) von sich reden, in Grünheide wird um die Bäume gestritten, die Tesla weghaben will, weil da ja diese Gigafactory entstehen soll, und an der Staatlichen Ballettschule soll nun eine Kommission den Vorwürfen der Kindeswohlgefährdung nachgehen

Außer Phrasen nichts zu sagen

Der SPD-Fraktionschef Raed Saleh bei Kurt Krömer

Wer hat ihm bloß diesen Floh ins Ohr gesetzt? Am Dienstagabend war Raed Saleh im Fernsehen mit Kurt Krömer zu sehen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende hielt es wohl für eine gute Idee, beim RBB-Verhörtalk „Chez Krömer“ Werbung für seine 15-Prozent-Partei zu machen. Also brachte er allerlei Giveaways mit. Am Ende lagen die SPD-Devotionalien unterm Tisch – und Saleh war ausgeknockt.

Es waren 30 lange Minuten der Demontage und Selbstdemontage, die das Publikum an diesem Abend erleiden musste. Krömer machte Saleh nach allen Regeln der Kunst fertig, und das Opfer merkte es noch nicht einmal. Eine abfällige Bemerkung über Spandau beantwortete Saleh, der dort lebt, allen Ernstes und im Dauerlächeln: „Spandau ist ein toller Bezirk mit tollen Menschen, mit viel Wald, mit viel Grün und viel Wasser.“

Kurz nach der Sendung hat das Stadtmagazin Zitty bereits eine „Hitliste der Saleh-Phrasen“ veröffentlicht. Vierzehn sind darin versammelt, aber eigentlich, das bleibt von der Sendung hängen, ist der ganze Mann ein Phrasendrescher.

All das wäre schon ein tiefer Einblick in das Innenleben einer Partei, in der es reicht, eine Aufsteigergeschichte zu erzählen. Aber Saleh will beim Landesparteitag im Mai in einer Doppelspitze mit Franziska Giffey SPD-Landesvorsitzender werden. Man braucht nicht viel Fantasie, um vorherzusagen, dass das Video mit Krömer im Wahlkampf ein Renner sein wird. Darin sagt Saleh allen Ernstes, dass er für seine Partei 30 Prozent holen will – und outet sich im gleichen Augenblick als Schlagerfan. Armes Spandau, nichts davon ist sexy.

Der denkwürdige Auftritt war nicht der erste Fauxpas des SPD-Chefs in spe in diesen Tagen. Nach der Wahl des FDP-Politikers Kemmerich mit den Stimmen der AfD und der CDU zum Ministerpräsidenten in Thüringen meldete sich Raed Saleh mit einem Beitrag in der Berliner Zeitung zu Wort: „Nur die Parteien der linken Mitte stehen uneingeschränkt zur Demokratie“, behauptete er – und sprach damit auch der Berliner CDU und FDP ab, demokratisch zu sein. Selbst Franziska Giffey, für die der Landesvorsitz das Sprungbrett für die Spitzenkandidatur zum Abgeordnetenhaus sein soll, distanzierte sich. Natürlich gebe es Demokraten beiderseits der Mitte, sagte Giffey im Talk bei Sandra Maischberger.

Doch Giffey ist auf Saleh angewiesen, er ist es, der der Parteirechten im linken Landesverband im Mai eine Mehrheit verschaffen muss. Inzwischen mehren sich aber die Stimmen, die sagen: Giffey bekommt bestimmt ein gutes Ergebnis, aber bei Saleh können wir für nichts garantieren.

Am Ende könnte es sogar sein, dass derjenige, der meinte, bei Kurt Krömer Straßenwahlkampf machen zu müssen, dortselbst den Anfang vom Ende seiner politischen Karriere eingeläutet hat. Ach ja, dem Tagesspiegel sagte Saleh nach der Sendung, er sei zufrieden gewesen. „Ich finde, auch Humor sollte in der Politik möglich sein.“ Uwe Rada

Es waren 30 lange Minuten der Demontage und Selbst­demontage, die das Publikum an diesem Abend erleiden musste

Uwe Rada über den Besuch von SPD-Fraktionschef Raed Saleh bei Krömer

Man muss nicht immer gegen alles sein

Der Streit um die Bäume in Grünheide, wo Tesla bauen will

Im Grunde ist es ganz einfach: Hopp oder top? Tausende neue Arbeitsplätze oder keine? 1,1 Millionen Hektar Wald in Brandenburg oder 1,1 Millionen minus 90 für ein Fabrikgelände in Grünheide? Förderung von Elektroautos oder nicht? Aus Prinzip riskieren, dass ein ansiedlungswilliger Konzern noch abspringt oder nicht? Man muss sich nur entscheiden. Bloß beides zusammen, das gibt es nicht.

Und da kommen bei der geplanten Ansiedlung des US-Konzerns Tesla in Grünheide am östlichen Berliner Stadtrand interessante Gedanken auf. Vom „Götzen Arbeitsplätze“ sprach man jüngst bei örtlichen Protesten, wünschte sich ein Ökosystem ohne Industrie. Da ist man doch geneigt, Berlins SPD-Fraktionschef Raed Saleh, der zuletzt nicht nur schlaue Sachen von sich gab (siehe Text nebenan), mit einer korrekteren Einschätzung zu zitieren: „Wo sollen denn all die Arbeitsplätze entstehen – im Pippi-Langstrumpf-Haus in der Villa Kunterbunt?“, stichelte Saleh vor einigen Wochen gegen eine Ansiedlungsfeindlichkeit, die er bei den Grünen ausmachte.

Ramona Pop, Berlins grüne Wirtschaftssenatorin, braucht sich diese Kritik nicht anzuziehen. Sie zeigte diese Woche kein Verständnis für die Proteste gegen die Abholzung jener 90 Hektar, mit der Tesla in Grünheide seinen straffen Bauzeitplan sichern will – und die das Oberverwaltungsgericht auf Beschwerde unter anderem von der Grünen Liga Brandenburg hin zuerst gestoppt und dann ab Donnerstagabend wieder erlaubt hat.

„Wie abwegig, eine Kieferplantage zu einem Wald zu erklären“, sagte Pop in Richtung Grüne Liga: „Man sollte die Kirche im Dorf lassen und die Zukunftsinvestition von Tesla zügig möglich machen.“ Leider ist es gut möglich, dass sie mit dieser Haltung bei ihren Grünen nicht viele Anhänger hat. Beim jüngsten Parteitag stimmte bereits eine Mehrheit gegen Pops Wunsch, die bisherige Automesse IAA als Mobilitätsplattform nach Berlin zu holen. In Brandenburg wie­derum sah das schon im Januar der dortige Umweltminister, Pops Parteifreund Axel Vogel, so wie sie: Das sei gar kein Wald, „es handelt sich um ein Industriegebiet, das mit Bäumen bewachsen ist“.

Zwei Frauen beurteilten das am Montag merklich anders, bezeichneten sich als „Baumpirat*innen“, besetzen für einige Stunden zum Abholzen vorgesehene Bäume und erhoben die Kiefernplantage in den Rang eines jahrhundertealten Waldes wie den Hambacher Forst. Für dessen Resterhalt haben in Nordrhein-Westfalen bislang erfolgreich Tausende gegen den Energiekonzern RWE demonstriert. Einen der letzten Urwälder für Braunkohle als aussterbende Energiequelle zu opfern, ist aber etwas ganz anderes, als eine Fläche mit der brandenburgischen Massenware Kiefer frei zu schlagen. Umso mehr, weil Tesla sich verpflichtet hat, in dreifachem Umfang anderswo aufzuforsten, und dazu laut Umweltministerium auch eine Bürgschaft hinterlegt hat.

„Man muss nicht immer gegen alles sein“, hat Ramona Pop in dieser Woche auch noch gesagt. Wie wahr.

Stefan Alberti

politik

Schluss mit der Schleiferei zur Spitze

Führung der Staatlichen Ballettschule freigestellt

An sich ist es ein wahr gewordener Traum, dass Kinder sich in Berlin an einer regulären, kostenfreien, landeseigenen Schule zu Profitänzer*innen und -akro­ba­t*innen ausbilden lassen können. Genau das macht die Staatliche Ballettschule in Prenzlauer Berg: Rund 300 Schü­ler*innen werden dort ab Klasse 5 unterrichtet. Eigentlich ist das ein große Chance, gerade auch für Kinder aus sozial schwachen Familien.

Doch wie das mit Träumen so ist: Manchmal werden daraus Albträume. Vergangenen Montag wurden die beiden Chefs der Ballettschule zumindest vorübergehend „freigestellt“. Schon seit September vergangenen Jahres kursieren anonyme Vorwürfe, die Ausbildung sei teilweise zum Drill verkommen, das Kindeswohl sei gefährdet gewesen, es sei zu Mobbing und Bodyshaming – also Erniedrigung aufgrund körperlicher Merkmale – gekommen.

Zuletzt hatten sich die Anschuldigungen gehäuft. Die zuständige Senatsverwaltung für Bildung reagierte, führte Krisengespräche. Eine Kommission soll nun die Vorwürfe, die inzwischen offenbar nicht mehr nur anonym sind, aufklären. Dass die Führung der Schule von Senatorin Sandra Scheeres (SPD) nun erst mal abberufen wurde, darf als Hinweis gelten, dass die Anschuldigungen als rea­listisch eingeschätzt werden. Zugleich wies die Bildungsverwaltung bei einem Treffen mit den Schüler*innen aber auch darauf hin, dass die Staatliche Ballettschule eine „leistungsorientierte Eliteschule“ sei. Und ob sich das Land diesen „modernsten und bestausgestatteten Ballettausbildungscampus der Bundesrepublik Deutschland“ (Eigenwerbung auf der Webseite der Schule) weiterhin leisten soll, war in diesem Zusammenhang wohl als rhetorische Frage gemeint.

Doch die bessere Antwort darauf ist eine andere: Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, mit den landeseigenen sportlichen Eliteschulen und ihren Idealen zu brechen. Berlin steht im bundesweiten allgemeinen Schulvergleich bestenfalls bescheiden dar, die Bundesrepublik im internationalen Vergleich ebenso. Die brutale Selektion auf Kosten der Körper und der Kindheit junger Menschen ist überholt, zumal es nur sehr wenigen jungen Menschen letztlich gelingt, tatsächlich zur gewünschten tänzerischen oder sportlichen Elite zu gehören. Ist es das wert? Sollte der Staat hier Ansporn sein?

Gleichzeitig nimmt die Akzeptanz des Leistungssports – wozu Ballett zweifellos zu zählen ist – in der Gesellschaft ab. Immer weniger Menschen wollen zum Beispiel, dass bei ihnen um die Ecke Olympische Spiele ausgetragen werden. Doping, sprich das Eingeständnis, dass nur wer betrügt, erfolgreich ist, hat viele Profisportveranstaltungen diskreditiert. Deutsche Spitzenteams im sportlichen wie kulturellen Bereich sind längst breit international aufgestellt: Dafür braucht es keine eigene nationale Spitzenförderung mehr. Und im Zweifelsfall sind viele andere Länder damit erfolgreicher, weil dort Drill und Dissen eben noch als Teil der Schleiferei widerstandslos akzeptiert wird.

Dabei ist deren Ablehnung ein gesellschaftlicher Fortschritt. Im 21. Jahrhundert brauchen Berlin, Deutschland, Europa statt einiger in der Jugend unter großem Druck geformter Helden junge Menschen, die teamfähig sind, die die Gleichheit aller Menschen achten, die Fortschritt nicht als Auslese denken. Das muss auch das Vorbild für unsere Schulen sein. Bert Schulz