Zehn Jahre Eurokrise: Warum nicht Geld drucken?

Die Eurokrise wird zehn Jahre alt. Ein verzichtbares Jubiläum – man hätte sie schon 2010 mit einem beherzten Schritt beenden können.

ein Mann geht eine Treppe entlang im Hintergrund die EZB

Hätte die EZB vor zehn Jahren einfach Geld gedruckt, hätte man von einer „Eurokrise“ nie gehört Foto: Boris Roessler/dpa

Ein trauriges „Jubiläum“: Die Eurokrise wird zehn Jahre alt. Im Frühjahr 2010 wurde ein Rettungsschirm für Griechenland aufgespannt; Portugal und Irland folgten wenig später. Diese zehn Krisenjahre haben Europa für immer verändert – vor allem durch die Managementfehler.

Zu diesen Fehlern gehörte schon die Grundannahme, die Pleiteländer seien allein schuld und müssten bestraft werden. Kein Wort wurde darüber verloren, dass auch die Europäische Zentralbank (EZB) vorher nicht erkannt hatte, dass sich gefährliche Kreditblasen aufpumpten. Die Aufsicht hatte komplett versagt. Es stimmt zwar, dass die Griechen ihre Statistiken kräftig manipuliert hatten, damit die Kreditberge nicht auffielen. Aber Portugiesen und Iren buchten richtig, und auch dort schritt die EZB nicht rechtzeitig ein.

Die Kreditblase in den Pleiteländern wurde lange nicht erkannt, weil sie für Wachstum sorgte. Die Bauindustrie boomte, die Arbeitslosigkeit ging zurück, und die Löhne stiegen, was wiederum den Konsum ankurbelte. In den Randstaaten schien sich ein Wirtschaftswunder zu ereignen, und sie stiegen zu europaweiten Vorbildern auf. So wurde Irland gern als „keltischer Tiger“ bezeichnet, und über Spanien schrieb die Deutsche Bank, dass es bis zum Jahr 2020 Deutschland überholen und eine höhere Wirtschaftsleistung pro Kopf aufweisen würde. Ein peinliches Fehlurteil.

Da sich alle im Tiefschlaf befanden, ist es höchst ungerecht, dass allein die Pleiteländer abgestraft wurden: Ihnen wurden radikale Sparprogramme auferlegt – in der Hoffnung, dass sie dann die Schulden zurückzahlen würden, die sie bei den Banken der reichen Euroländer aufgehäuft hatten. Vor allem deutsche und französische Kreditinstitute hatten Milliarden in die europäische Peripherie verliehen.

Die Währungsunion wird von innen gesprengt

Doch die harschen Sparprogramme würgten die Wirtschaft ab, sodass die Schulden sogar noch stiegen. Kanzlerin Merkel und der französische Staatspräsident Sarkozy verfielen daher bald auf eine neue Idee: Sie schlugen einen „Schuldenschnitt“ für Griechenland vor. Besitzer griechischer Staatsanleihen mussten im Jahr 2012 rund 107 Milliarden Euro abschreiben, was einem Wertverlust von etwa 65 Prozent entsprach. Es wurde nach dem beliebten Motto verfahren, dass Strafe sein muss. Banken und Versicherungen, die so dumm gewesen waren, Griechenland allzu viel Geld zu leihen, sollten nun dafür büßen.

Menschlich ist zu verstehen, dass Rache an den Banken ein populäres Bedürfnis ist. Es ist ärgerlich, wenn Kreditinstitute und ihr unfähiges Management vom Staat gerettet werden müssen. Dennoch war der Schuldenschnitt für Griechenland falsch, denn er hat das Vertrauen in den Euro für immer zerstört. Seit dem griechischen Schuldenschnitt gilt als denkbar, dass weitere Eurostaaten oder Banken Konkurs anmelden. Geld basiert aber auf Vertrauen, sonst verliert es seinen Wert. Daher gibt es jetzt nicht mehr einen Euro, sondern 19 verschiedene Euros: Ein griechischer Euro ist nicht mehr so viel wert wie ein deutscher. Die Währungsunion wird von innen gesprengt, noch während sie existiert.

Heute gibt es 19 verschiedene Euros. Die Währungsunion wird von innen gesprengt, noch während sie existiert

Dieses seltsame Phänomen spielt sich nicht im Geheimen ab, sondern bewegt fast jeden Europäer, der über sein Vermögen nachdenkt. Ob Griechen, Spanier oder Italiener – sie alle glauben, dass Geld in der Bundesrepublik besonders sicher sei. Also transferieren sie ihr Finanzvermögen zumindest teilweise nach Deutschland. Aus einem griechischen, italienischen oder spanischen Euro wird also ein deutscher Euro gemacht. Umgekehrt ziehen deutsche Investoren und Banken ihr Geld aus dem Ausland ab, weil ihnen Deutschland ebenfalls am sichersten erscheint. Diese gemeinsame Kapitalflucht erreichte gigantische Ausmaße: Zeitweise wurden in Deutschland rund 750 Milliarden Euro geparkt.

Diese Wanderschaft der Finanzvermögen hat leider Folgen: Unternehmen werden jetzt danach bewertet, als wie riskant ihr Heimatland gilt. Eine italienische Firma muss für einen Kredit mehr Zinsen zahlen als ein deutscher Betrieb, selbst wenn beide Unternehmen gleich erfolgreich sind. Die Wettbewerbsbedingungen in der Eurozone werden verzerrt – zugunsten von Deutschland. Die Währungsunion kann jedoch nicht überleben, wenn sie nicht allen Ländern die gleichen Chancen bietet.

Irland, die dringend benötigte Erfolgsstory

Aber was wäre die Alternative gewesen? Es ist ja unbestritten, dass Griechenland entschuldet werden musste. Wie man es richtig macht, führte Irland vor, das ebenfalls bankrott war, nachdem es seine maroden Banken hatte retten müssen. Aber Irland hat einen Teil seiner Schulden einfach vom Staat zur irischen Notenbank verschoben – mit dem Einverständnis der EZB. Die meisten Europäer haben von dieser Aktion noch nie gehört, weil sie so geräuschlos vonstatten ging.

Es ist eine überaus elegante Lösung, Schuldenkrisen zu bekämpfen, indem die Zentralbank einspringt. Doch die deutsche Regierung und die Bundesbank blockierten diesen Weg fast immer, da sie fürchteten, dass hemmungslos Geld „gedruckt“ würde. Nur bei Irland stimmten sie schließlich zu, weil dringend eine Erfolgsstory benötigt wurde, damit nicht auffiel, wie falsch die brutale Sparpolitik in Griechenland und Portugal war.

Es ist weltweit einmalig, dass eine Zentralbank nicht tätig werden darf, wenn ihr eigenes Währungsgebiet in Schwierigkeiten gerät. Die US-Notenbank Fed, die Bank of England und die japanische Zentralbank kaufen immer Staatsanleihen auf, sobald eine Krise droht.

Man stelle sich einmal vor, die EZB hätte vor zehn Jahren einfach 200 Milliarden Euro „gedruckt“, um die Schulden von Griechenland, Portugal und Irland auf ein erträgliches Maß zu senken. Von einer „Eurokrise“ hätte man nie gehört. Sie wäre sofort zu Ende gewesen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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