Nationalität nennen?

Die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern hat von ihrem obersten Dienstherren eine neue Informationspolitik verordnet bekommen und nennt ab sofort bei Berichten über Straftaten immer auch die Staatsangehörigkeit der Verdächtigen und mutmaßliche Täter*innen. Ist das eine gute Idee?

Knacken Panzer: Bei diesen Typen ist die Nationalität eher nicht von Interesse Foto: Alexander Heinl/dpa

nein,

Nationalität hat nichts mit Kriminalität zu tun, genauso wenig wie Staatsangehörigkeit, Migrationshintergrund oder Herkunft. Ausgenommen ist alles rund um Grenzübertrittsdelikte, die ja per Definition nur Ausländer*innen begehen können. Die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern aber suggeriert, dass Nationalität mit Kriminalität zusammenhängt. Sie nennt seit Februar in ihren Pressemeldungen immer die Nationalität der mutmaßlichen (!) Täter*innen. Die Hamburger Polizei war Vorreiter dafür, Sachsen will auch nachziehen. Was für ein irreführender Quark!

Die Kategorie „Nationalität“ soll vor allem­ eines: Menschen als vermeintlich anders kennzeichnen. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister­ Lorenz Caffier (CDU) verspricht sich von dieser neuen Kommunikationspolitik mehr Transparenz. Doch das Wort Transparenz ist hier nicht angebracht. Warum nicht auch transparent machen, welchen Schulabschluss die Tatverdächtigen haben oder welche­ Frisur sie tragen?

Nach der situationalen Handlungstheorie des Kriminologen Per-Olof Wikström, können folgende Faktoren die Ursache für kriminelles Handeln sein: bestimmte Moralvorstellungen,­ geringe Selbstkontrolle und ein Umfeld, das zum kriminellen Handeln motiviert. Das macht auch den Vorwurf haltlos, Behörden verheimlichten die Nationalität von Tatverdächtigen. Denn: Nationalität erklärt schlicht nichts. Die Polizei fördert stattdessen Vorurteile und schafft Scheinargumente für Rassist*innen.

Auch wenn die Polizei Tatverdächtige mit deutschem Pass jetzt genauso benennt: Bei den meisten Leser*innen wird das eher nicht hängen bleiben. Stattdessen verstärken solche Polizeipressemeldungen­ mit Nationalitäten die Wahrnehmung, vor allem Ausländer*innen seien kriminell. Dass diese Annahme Quatsch ist, haben bereits viele, viele Studien belegt.

Bei bestimmten Delikten sucht die Polizei sogar­ nach vermeintlichen Ausländer*innen. Ein Beispiel sind Einbrüche. Seit Jahren hält sich das Polizei-Narrativ, dass osteuropäische Einbrecherbanden durchs Land reisen und Haustüren knacken. Dabei zeigte eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen:­ Die meisten Einbrecher sind Deutsche. Ist das hängengeblieben? Nö! Also: Die Nationalität von Tatverdächtigen zu nennen, fördert rassistisches Denken. Von Medienschaffenden darf das auf keinen Fall übernommen werden. So will es auch der Pressekodex. Sabrina Winter

ja,

in einer besseren Gesellschaft interessiert sich niemand mehr für die Staatsangehörigkeit straffälliger Menschen. Dort haben auch die Letzten begriffen, dass nationale Herkunft an sich niemanden zum Gesetzesbruch verleitet. Im Moment ist das aber eine Utopie.

Auch im Jahr 2020 wird mit Nationalität Politik gemacht; in AfD-Statements, auf einschlägigen Facebookseiten und Wahlplakaten. Das lässt sich nicht beheben, indem man Informationen einfach ignoriert, die andere instrumentalisieren.

Wie die Polizei in ihren Pressemitteilungen mit Nationalität umgeht, ist also vor allem eine strategische Frage: Wie lässt sich Diskriminierung verhindern – ohne gleichzeitig Rechten argumentative Munition zu liefern?

Die Innenministerkonferenz konnte diese Frage im Dezember nicht geschlossen beantworten. Die Praxis in den meisten Ländern bleibt, wie sie war: Jede einzelne Polizeidienststelle entscheidet bei jeder Pressemitteilung aufs Neue, ob die Nationalität für das Verständnis des konkreten Falles notwendig ist. Die Polizei ist in eine Position gezwungen, in der sie sich schlecht gegen Zensurvorwürfe verteidigen kann: Wird die Nationalität verschwiegen, passt das in die Erzählung der Rechten.

Die zu entkräften gelingt, indem man ihre empirische Absurdität entlarvt. In Mecklenburg-­Vorpommern sind Deutsche unter Mehrfachtätern die mit Abstand größte Gruppe. Das schlägt sich seit dem ersten Februar­ zum Glück auch in den Polizeimeldungen nieder. Die Behörden nennen in jedem Fall die Nationalität. Hamburg handhabt es schon länger so, Sachsen und NRW planen Ähnliches.

Damit verschiebt sich die ethisch-publizistische­ Verantwortung dorthin, wo sie hingehört: weg von der Exekutive, hin zur vierten Gewalt, in die Redaktionen – zu uns. Wir müssen entscheiden, ob die Nationalität Tatverdächtiger für die Berichterstattung notwendig ist – etwa, wenn es um Asyl- oder Aufenthaltsrecht geht. Wir müssen abwägen, ob eine Nennung Vorurteile schürt oder abbaut. Und wir können uns nicht mehr drücken, indem wir einfach die Entscheidung der Polizei übernehmen – nach dem Motto: Die werden schon wissen, was sie tun.

Stattdessen soll Journalismus Statistiken einordnen und die wahren Ursachen von Kriminalität benennen. Und irgendwann kann sich die Polizei die Nennung sparen – weil sie niemand mehr für relevant hält. Thilo Adam