Fünf sollen’s richten

Gegen kostenfreie Miete sollen fünf Studierende zu Lernpat*innen für Schüler*innen im benachteiligten Stadtteil Bremerhaven-Lehe werden. Die Stadt selbst hält sich aus der Finanzierung heraus

Die Rickmersstraße in Lehe, Bremerhavens größtem und ärmsten Stadtteil Foto: Carmen Jaspersen/dpa

VonLotta Drügemöller

Etwa elf Prozent der Schüler*innen in Bremerhaven-Lehe verlassen die Schule ohne Abschluss. Nicht alle haben ausreichende Deutschkenntnisse, die Arbeitslosigkeit im Stadtteil ist hoch, die Perspektivlosigkeit ebenfalls. Doch jetzt ist Rettung in Sicht.

Studierende der Hochschule sollen monatlich 20 Stunden ihrer Zeit als „Bildungsbuddys“ für Fünft- bis Siebtklässler*innen der Leher Schule am Ernst-Reuter-Platz investieren. Sie selbst bekommen dafür die Miete im neuen Studierendenwohnheim der Städtischen Wohnungsgesellschaft Bremerhaven (Stäwog) in der Heinrichstraße erlassen. Im April, wenn das Haus eröffnet wird, könnte das Projekt starten.

Die Lernpatenschaft der Bildungsbuddys soll mehr umfassen als klassische Nachhilfe oder Hausaufgabenbetreuung. „Die Studierenden sollen Bildungsvorbilder sein“, erklärt Nicole Wind, Schulrektorin am „Ernst“. So könnten sich die Buddys zwar mit ihren Schützlingen treffen, um für die nächste Deutscharbeit zu lernen. Aber sie können auch am Deich Drachen steigen lassen oder gemeinsam ein Fußballspiel anschauen. „Es geht darum, den Horizont zu erweitern“, so Wind. „Die Kinder werden heute nicht mehr unbedingt im Sportverein angemeldet. Sie kennen ihre eigene Stadt nicht.“

Nebenbei sollen die Studierenden wichtige Alltagsfähigkeiten vermitteln: „Eine Sache nach der nächsten machen, zum Beispiel“, führt Wind an. „Und eine Arbeitsstruktur schaffen; darauf pochen, dass die Schüler ihr Geodreieck mitnehmen. Es geht um die Basics.“

Die Mehrzahl der Student*innen an der Hochschule Bremerhaven kommen aus technischen, naturwissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Fächern. „Das Projekt ist für sie eine einzigartige Gelegenheit, ihre Kompetenzen auszubauen und sich in der Stadt einzubringen“, sagt Cornelia Driesen, Sprecherin der Hochschule. Doch groß begleitet werden die Studierenden bei ihrer Aufgabe wohl nicht: Eventuell sollen sie an einem bestehenden Fortbildungsprogramm für Berufsfindungspaten teilnehmen – und so drei- bis viermal im Halbjahr je eine Stunde Input bekommen.

Die Gefahr, dass Studierende die Aufgabe nur annehmen, um sich die Miete zu sparen, scheint überschaubar. Denn wer stattdessen Nachhilfe geben würde, könnte mit etwa 15 Euro Stundenlohn in den 20 Monatsstunden leicht 300 Euro verdienen. Ein Zimmer im Studierendenwohnheim soll gewöhnlich 275 Euro kosten; teilweise gibt es in der Stadt aber auch schon Zimmer ab 180 Euro.

Driesen glaubt daher auch nicht, dass der Andrang allzu hoch werden wird. Die Anforderungen sind entsprechend gering: Bewerber*innen sollen studieren, brauchen ein polizeiliches Führungszeugnis – und sollen Lust auf den Trubel mit Kindern zwischen zehn und zwölf haben.

„Wir haben uns selbst auf den Weg gemacht. Man kann ja nicht immer warten, bis die Stadt sich da bewegt“

Nicole Wind, Rektorin der Schule am Ernst-Reuter-Platz in Lehe

Bildungsangebote für Schüler*innen außerhalb von Schulen fallen den sozialen Trägern in Lehe nur wenige ein. Laut Wind schließen die Buddys denn auch eine bedeutende Lücke: Für Schüler*innen ab Klasse 8 gebe es am Ernst Patenschaften zur Berufsorientierung; für die Fünft- bis Siebtklässler*innen fehlte bisher jedoch ein Angebot.

Allzu hoch hängen darf man die Bedeutung des Projekts trotzdem nicht: Das neue Wohnheim hat 26 Plätze; vorerst nur fünf Studierende sollen gegen Hilfe ein kostenfreies Zimmer bekommen. Allein die Ernst allerdings hat etwa 180 Fünft- bis Siebtklässler*innen – und ist nur eine von vier Oberschulen im Stadtteil.

Viel mehr freie Zimmer könne die „Stäwog“ nicht zur Verfügung stellen, so deren Sprecherin Janine Wübben. Die Miete für die Buddys wird von der privaten Dieckell-Stiftung finanziert. Man erhoffe sich aber von dem Projekt eine zusätzliche Werbewirkung auf weitere Freiwillige. So gebe es schon jetzt vier ältere Menschen, die sich als ehrenamtliche Helfer angeboten hätten.

Bleibt die Frage: Wo ist die Stadt in dieser Angelegenheit? Das Schulamt schweigt bis Redaktionsschluss zu den Fragen der taz. „Bildung braucht viel, viel mehr öffentliche Unterstützung“, sagt dafür Wind. Schwierig sei, dass alle Schulen gleich behandelt würden, egal mit welchen Problemen sie konfrontiert seien. „Deshalb haben wir uns eben selbst auf den Weg gemacht. Wir können ja nicht immer warten, bis die Stadt sich da bewegt.“