Neues Album von Tame Impala: Leuchten in der Wüste

Sci-Fi in der Disco: Kevin Parker veröffentlicht mit Tame Impala das neue Album „The Slow Rush“. Eine Begegnung mit dem Australier in Berlin.

Kevin Parker schwingt seine Matte an einem australischen Strand

Soft, aber nicht oberflächlich: Kevin Parker ist Tame Impala Foto: Neil Krug

Ein erbärmlicher Winternachmittag in Berlin-Mitte, es wird kaum hell, regnet bleierne Strippen, vor dem Hotelzimmerfenster verschwimmen der Fernsehturm, das Park-Inn-Hotel, ja, der ganze Alexanderplatz scheint schier abzusaufen. Der Friedhof gegenüber der Straßenkreuzung ist auch nicht dazu angetan, die Stimmung zu heben. Kevin ­Parker jedoch ist guter Dinge. Der Musiker hat das glückliche Los gezogen, in einem geräumigen Loft im Yuppie­hotel Soho House zu sitzen, vor einer Plattensammlung, in der ganz vorne ein Jazzklassiker von Duke Ellington steht.

Kein schlechtes Setting für ein Interview mit dem ­australischen Multi­instrumentalisten Parker, der seit 2007 das Psychedelicprojekt Tame Impala betreibt: Auf der Bühne bei Konzerten wird Tame Impala zu einer richtigen Band, die Studioaufnahmen absolviert Parker in monatelangen Aufnahmesessions alleine. Und ja, bemerkt er stolz, er habe schon mal an Duke Ellingtons Klavier Platz nehmen dürfen.

Parker ist nach Berlin gekommen, um über das neue Tame-Impala-­Album zu sprechen. „The Slow Rush“ heißt es, und es klingt nach einer anderen Stadt zu einer anderen Zeit: nach New York in den Siebzigern, nach blinkenden Discokugeln, einer späten Dämmerung in einer trägen Sommernacht, nach Clubs mit futuristischer Inneneinrichtung, Haifischsofas und Raumschiffsesseln. Der ganz große Exzess.

Textlose Stimmschleifen

Das Tame-Impala-Spaceship hebt ab mit „One More Year“, von entrückten Keyboardschlieren und text­losen Stimmschleifen wird das Stück eingeleitet; dann kommt die Percussion zum Tragen. Auf das Schlagzeug wird im weiteren Verlauf immer wieder gerne Hall gelegt, dazu gesellt sich ein analoger Sound, der als tragendes Motiv durchgehen könnte: Handpercussion, der Rhythmus von Bongos und Congas, der den Funk der siebziger Jahre heraufbeschwört: ­Curtis Mayfields „Move On Up“, Funkadelic, die Pointer Sisters. Auf dem Cover von „Patience“, einer vor „The Slow Rush“ erschienenen Single, steht Parker neben einem Set aus drei Congas.

„Borderline“ klingt wie die Bee Gees mit Playstationsound

Auf „Patience“ ließ sich bereits ein Eindruck gewinnen, wie „The Slow Rush“ klingen würde: Science-­Fiction in der Disco, dem Tag entrückt und traumverloren. Funky ist ein Wort, das Parker als Kompliment betrachtet und für eigene Zwecke erst einmal soft einschmilzt. „Borderline“, die zweite Single, wurde von Kritikern gar mit Yachtrock verglichen, einer AOR-Stilistik, die eben gepflegtes maritimes Abhängen unter kalifornischer Sonne assoziiert. Da möchte Parker doch widersprechen: „Wer das erwartet, wird sich auf dem Album hoffentlich wundern.“ Eher ließe sich „The Slow Rush“ als eine Art Experimental-Easy-­Listening beschreiben.

Für „Instant Destiny“, den zweiten Song des Albums, bedient sich Parker eines Verfahrens, das noch öfter auftauchen wird, er lässt das Stück, das ein mustergültiger ­Popsong ist, in eine sich seltsam zerbröselnde Ambientcoda münden. „Borderline“, auf „The Slow Rush“ an dritter Stelle platziert, funktioniert ­ähnlich und klingt wie aus dem Bee-Gees-­Katalog, benutzt werden dafür allerdings Sounds, die klingen, als kämen sie von einer Playstation.

„The Slow Rush“ (Caroline International/Universal)

Ein Stück wie „Breathe Deeper“ beginnt fast schon putzig, nur kommt dann ein Break, als hätte wer an der Radioskala gedreht. Parker schaltet in die Tracks kleine Collagen und Gimmicks ein, die „The Slow Rush“ weniger als Sammlung von Songs denn als zusammenhängende Erzählung wirken lassen. „Glimmer“ zum Beispiel ist ein kurzes Zwischenspiel, ein Jingle zur Überleitung kurz vor dem Albumende, das dann mit „One More Hour“ durchaus noch rockig gerät.

Psychedelik für den Dancefloor

Als Tame Impala begannen, standen sie für einen deutlich anderen Sound: Die erste EP war reiner Psychedelicrock in der Manier der späten sechziger, frühen siebziger Jahre. Nur dass Parker damals schon großen Wert auf die Tanzbarkeit seiner Songs gelegt hatte, wie er betont.

Parker mag die siebziger Jahre als Idee, und zu ihr gehört auch, wie aus Psychedelicrock Psychedelicfunk wurde – ausgehend vom Spätwerk Jimi Hendrix’ entstand mit Mu­si­ke­r:in­nen wie Sly & the Family Stone eine hypnotische Mixtur, deren Spuren sich im Jazzrock und späten HipHop finden lassen. Damit ist Parker bestens vertraut, seine Texte sind allerdings eher persönlich gehalten.

Doch kriegt er die großen Augen eines Fans, wenn in diesem Zusammenhang ein weiterer Name fällt. Ausgerechnet kurz vor dem Gespräch hatte der TV-Sender Arte die Dokumentation „Stevie Wonder – Der Weg zur Legende“ ausgestrahlt. Die Klangarchitektur von Wonders Siebzigeralben wie „Talking Book“ und „Songs in the Key of Life“ hält Parker für maßgeblich.

Und schon auf der zweiten Tame-Impala-EP fanden sich dann Remixe, die im Grunde wie ein Vorgriff auf den Kevin Parker von „The Slow Rush“ wirken. Sicher um einiges roher und scharfkantiger, aber schon der Tanzfläche zugeneigt. Auf dem Debütalbum „Innerspeaker“ – einer von Stevie Wonders Signatursongs heißt nicht zufällig ähnlich „Innervisions“ – sollte Tame Impala dann eine Mischung aus sonnendurchflutetem Psych und fuzzgesättigtem Powerpop spielen. Der Nachfolger „Lonerism“ brachte mehr Synthesizer und Samples ins Spiel, sein Titel durfte programmatisch gesehen werden. Mit „Currents“, dem dritten Album schließlich, fand Parker zu einem Stil, dessen Sanftheit nicht mit Oberflächlichkeit verwechselt werden sollte, und setzte, etwa mit einem Stück wie „Gossip“, auf die Wirkung eines unheimlich anmutenden Zwischenspiels.

Auf Sand gebaut

„Currents“ wurde 2015 veröffentlicht. Dass er an „The Slow Rush“ nicht etwa fünf Jahre geschraubt hat, ist ihm wichtig. Der Grund für die Pause: In der Zeit zwischen beiden Alben ist Kevin Parkers Vater gestorben. Für ihn hat er die Ballade „Posthumous Forgiveness“ komponiert und zwischen die Glitzer­ästhetik platziert. Selbst das Cover des Albums ist nur vordergründig anheimelnd: eine warme Szenerie, ein rotes Zimmer. Doch strömt durch dessen Fenster und Tür Sand in großen Wellen herein.

Das Motiv ist ein bearbeitetes Foto Parkers, aufgenommen in der Wüste Namibias: Kolmannskuppe, eine Geisterstadt, ein ehemaliger Bergbauort, entstanden aus einem Diamantensuchercamp. Die einstmals reichste Stadt Afrikas, heißt es. Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet, eine Luxusoase inmitten extremen Klimas, in den sechziger Jahren aufgegeben. Irgendwann gaben die Felder keine Diamanten mehr her, und die Bewohner gaben ihren Ort der Wüste zurück. Der Sand türmt sich mittlerweile meterhoch. Die Symbolik ist Kevin Parker bewusst. „Der Sand ist wie Wasser“, sagt er. Zum Gesprächsende regnet es immer noch Bindfäden, aber irgendwo da draußen schimmert eine Leuchtschrift.

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