Flanieren durch die Kunstgärten
: Die Sehnsucht nach dem Versaille-Gefühl

Kathrin Schrader auf Entdeckungsreise in der grünen Mitte

So schön sind Essigbäume: Im Katen-Garten in der Linienstraße wiegen sie sich wie Palmen im Wind. Man könnte schwören, dass sie vor wenigen Tagen noch nicht hier standen, dass jemand über Nacht gekommen ist und die dünnen Stämme in den frisch aufgeworfenen Split gesteckt hat. Irrtum. Sie waren zuerst hier. Als Bestandteil einer grünen Masse aus Gras, Stauden und Kraut. Danach kamen die Gartenkünstler des Atelier Le Balto, rodeten Kraut und Sträucher, schütteten Split auf und schnitten die unteren Äste der Essigbäume radikal ab – voilà: Palmen!

In diesem Jahr haben die Landschaftsarchitekten von Le Balto vier kleine Gärten in der Stadt geschaffen. Sie haben Holzpodeste hineingestellt, damit der Betrachter eine erhabene Aussicht auf das Beste, was aus Berliner Ruinen und Brachen wächst, genießen kann. Wem das mit den Holzplanken und den Bäumen irgendwie bekannt vorkommt – richtig: Le Balto gestalten auch den Innenhof der „Kunstwerke“ in der Auguststraße.

Ihr Konzept sieht vor, immer zuerst auf das bereits Vorhandene zurückzugreifen und so den Charakter eines Ortes zu erhalten. Zuweilen passiert es auch den Baltos, dass sie zu wenig beeindruckende Pflanzen vorfinden. Dann tarnen sich die Gärtner in den orangen Uniformen offizieller Grünarbeiter und graben am Rand einer S-Bahn-Strecke aus, was ihnen fehlt. Knöterich zum Beispiel. Rings um den Knöterich im Insel-Garten auf dem Gelände der Humboldt-Universität hinter der Charité haben sie ein Podest gezimmert. Die Wiese und der kleine Teich waren schon da. Jeder darf man dort sitzen, liegen, lesen, picknicken oder Reden halten.

Der Garten an der Uni ist der vierte und damit der Herbstgarten. Hier wird am 1. Oktober die letzte der regelmäßigen Gartenpartys stattfinden, weil dann weniger Blätter an den Bäumen hängen und die schönen, roten Ziegelhäuser der Institute ringsum besser durch das Laub schimmern. Allein in dem einzigen royalblauen Liegestuhl auf dem Podest über dem Knöterich zu thronen, schafft eine Art Versaille-Gefühl. Gegenüber, in der Baracke der Galerie NEU glitzert wie verabredet ein riesiger Kronleuchter. Das Gesicht der Sonne zugewandt. Die Füße lässig auf dem massiven Eisenzaun. Der stammt übrigens von einer Rinderkoppel. Die Veterinäre haben ihn vor ihrem Institut stehen gelassen. Wie schon gesagt, greift Le Balto stets auf das Vorhandene zurück.

Großstadtgärten müssen den normalen Vorkommnissen des Stadtlebens gewachsen sein. Garten Nummer drei, der Buchgarten, wäre beinahe am Unwillen der Mieter gescheitert. Sie wollten sich auf gar keinen Fall eine Sehenswürdigkeit vors Haus pflanzen lassen. Landschaftsarchitekt Marc Pouzol blieb gelassen: Er baute den Buchgarten mit Rädern unten dran. Der steht jetzt im Hof des Kulturamts Mitte und kann jederzeit dort abgeholt werden. Jardin à louer! Oder: Rent a garden! Am 3. September wird ihn die französische Buchhandlung Zadig mal eben für ihr Kiezpicknick rüberrollen.

Der Schönste, weil Größte, weil am besten Versteckte ist der Tafel-Garten hinter dem Hamburger Bahnhof. Vielleicht erklärt sich sein Name aus den Grundmauern des alten Gebäudes, zwischen deren Wänden man sich eine lange gedeckte Tafel vorstellen kann. Jetzt stehen Birken dort und auf den Podesten Liegestühle und Bistrobänke. Schließt man die Augen, ist es fast, als lärmen Kinder in einem Schwimmbad um die Ecke. Dabei ist gar kein Planschbecken in der Nähe. Nur ein kleiner Teich zwischen den Planken, auf dem orangerote Blüten schwimmen. Sieht aus, als schwebten sie über einem Grund aus schwarzem Granit. Aber das ist nur eine Mülltüte.

Die nächsten Gartenpartys: Am 6. August ab 18 Uhr Fest der Gärtner und Architekten im Katen-Garten, Linienstraße 44, Mitte. Am 3. September Kiez-Picknick im Buchgarten mit der französischen Buchhandlung Zadig, Linienstraße 141. Programm unter www.woistdergarten.de