Ex-UN-Beauftragter über Libyenkrieg: „Eine aktivere Haltung Europas“

Die Berliner Libyen-Konferenz war ein Novum, sagt Martin Kobler. Doch die Beschlüsse offenbaren Lücken. Eine militärische Lösung sieht er nicht.

Vermummte Kämpfer der Regierung in Tripolis vor ihren Fahrzeugen.

Viele Waffen und viele Milizen: Kämpfer der anerkannten Libyschen Regierung in Tripolis Foto: Ismail Zitouny/reuters

taz: Herr Kobler, gut eine Woche nach der Berliner Libyen-Konferenz wird in Libyen wieder gekämpft. Kann man den Berliner Prozess noch retten?

Martin Kobler: Zunächst: Die Berliner Konferenz war ein Novum. Zum ersten Mal haben sich Staats- und Regierungschefs mit Libyen befasst, ein Dokument verabschiedet und einen Nachfolgemechanismus vereinbart. Insofern gehen die Ergebnisse über frühere Konferenzen in Palermo und Paris hinaus.

In Berlin wurde ein politischer Prozess vereinbart, erste Schritte. Allen war klar, dass die Erwartungen nicht sehr hoch sein können. Es ist gut, dass die Bundesregierung diesen Prozess prominent auf der internationalen Agenda hält. Es heißt jetzt: Dran bleiben. Das Berliner Dokument enthält eigentlich wenig Neues – eine Neuverpflichtung, das Waffenembargo einzuhalten und eine Waffenruhe zu vereinbaren, die in einen dauerhaften Waffenstillstand übergehen soll, ist aber gut.

Das Waffenembargo wird laut UNO nicht eingehalten…

Ich habe Zweifel, ob das alles gelingen wird, wenn es keine internationale Überwachung vor Ort gibt. Wenn man ein Abkommen hat, in dem sich Militärs und Milizen zu einem Waffenstillstand verpflichten, stehen die Chancen besser, wenn das durch Dritte überwacht wird. So verfahren wir ja auch mit den OSZE-Beobachtern in der Ukraine. Einen solchen Mechanismus enthält das Berliner Abkommen nicht. Die Bundesregierung sagt, man soll nicht den zweiten Schritt vor dem ersten denken – ich finde, man kann das schon parallel denken.

Ihr Nachfolger als UN-Beauftragter für Libyen, Ghassan Salamé, lehnt eine UN-Truppe ab. Hat er recht?

Ich finde, er hat recht. Es gibt ja auch andere Formen der militärischen Überwachung. Wichtig ist lediglich die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates. Bereits 2014/15 wurde an eine „Koalition der Willigen“ gedacht, Militärbeobachter und Soldaten verschiedener Staaten – nicht Blauhelme, sondern eine Truppe zur Überwachung des Libyschen Politischen Abkommens. Das wurde dann nicht weiterverfolgt.

Nach zwei Jahren relativer Stabilität gingen die Kämpfe wieder los. Salamé hat natürlich recht, wenn er sagt, dass es in Libyen keine Akzeptanz für internationale Truppen, gibt – aber dort agieren jetzt ausländische Söldner, Milizen, die Einheiten Haftars, die Türkei ist ganz offen militärisch involviert. Ich finde, internationale Militärbeobachter zur Einhaltung eines Waffenstillstands und des Waffenembargos sind auch für die libysche Bevölkerung das geringere Übel.

Warum soll jetzt funktionieren, was damals nicht klappte?

Die Lage im Land ist jetzt viel verfahrener. Am meisten verzweifelt ist die libysche Bevölkerung, sie leidet jetzt seit Jahren unter Elektrizitäts- und Versorgungsengpässen, dem Fehlen einer ordentlichen Gesundheitsversorgung, aber vor allem an dem Machvakuum und an der Willkür der kriegführenden Parteien. Es ist ein Skandal in diesem öl- und gasreichsten Land Afrikas. Die Lage der Migrantinnen und Migranten ist unhaltbar und ein weiterer Schandfleck.

In den Lagern wird vergewaltigt und gefoltert, und das an der Grenze zu Europa. Der Druck auf die internationale Gemeinschaft wächst und ich würde mir hier eine aktivere, robuste Haltung vor allem der Europäer wünschen. Es ist aber vor allem die Verantwortung der Milizenführer und der Befehlshaber im ganzen Land, sich zusammenzusetzen und zu einer Machtteilung zu kommen und so das Leiden der Bevölkerung zu beenden.

Martin Kobler

geboren 1953, war von 2015 bis 2017 UN-Sonderbeauftragter in Libyen. Davor leitete er die UN-Mission im Kongo, davor im Irak. Der deutsche Diplomat lebt heute pensioniert in Äthiopien.

Sie haben das ja schon mal gemacht, mit dem Libyschen Politischen Abkommen, das im Dezember 2015 im marokkanischen Skhirat geschlossen wurde. Daraus wurde die „Einheitsregierung“ von Serraj in Tripolis, die jetzt von Haftar bekämpft wird. Wieso konnte sich diese Regierung nicht durchsetzen?

Es gab im Land schon damals mehrere Machtzentren: Tripolis mit den Milizen, in Tobruk im Osten das Parlament und die Libysche Nationalarmee unter Haftar. Aber die Situation war nicht so akut. Das Libysche Politische Abkommen, das jetzt in Berlin bekräftigt wurde, war eine gute Grundlage des nationbuilding, um das Land zusammenzuführen. Es hat sich allerdings nicht bewährt, die Umsetzung alleine den libyschen Parteien zu überlassen.

Man hätte 2011 nicht erst intervenieren dürfen und dann sagen, macht eure Revolution alleine weiter. Libyen braucht eine Verfassung, die Institutionen müssen wieder zusammengeführt werden – die Zentralbanken, die Ölgesellschaften, die beiden Regierungen, die beiden Parlamentskammern. Wir haben damals auch versucht, mit der verfassungsgebenden Versammlung den Verfassungsprozess voranzutreiben, mein Nachfolger hat sich weiter sehr engagiert und wollte mit der Nationalen Konferenz die Bevölkerung mitnehmen. Alle diese positiven Ansätze wurden durch die militärische Eskalation torpediert.

Haftar will offensichtlich die militärische Lösung. Kann man das stoppen? Muss man das stoppen?

Ja, man muss das stoppen im Interesse der Menschen. Eine schnelle militärische Lösung sehe ich auch nicht – aber es ist noch nicht gelungen, Haftar davon zu überzeugen. Der Weg, den das Berliner Dokument geht, ist richtig. Es ist wichtig, dass man das Waffenembargo durchsetzt – wenn nötig auch mit Sanktionen. Der Konflikt entwickelt sich immer mehr zu einem Stellvertreterkrieg.

Leider bleibt hier das Berliner Dokument vage und fordert nicht etwa den Abzug ausländischer Truppen und Söldner. Wir müssen zurück zu den Prinzipien der UN-Charta: Nichteinmischung, Achtung der Souveränität, Einhaltung der Menschenrechte. Das ist alles auf der Strecke geblieben. Wenn das gelingt, sind wir einen Schritt weiter. Aber die Parteien müssen es auch selbst wollen!

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