Kabinettsumbildung nach dem Brexit: Johnson wirft Aufmüpfige raus
Finanzminister Javid wird geschasst, Nachfolger wird der aalglatte Brexit-Loyalist Sunak. Auch Nordirlandminister Smith muss gehen.
LONDON taz | „Taking Back Control“ – das war das Motto des Brexit-Referendums. Nun scheint es, dass 10 Downing Street sich diese drei Worte zum Vorbild für die Umgestaltung des Kabinetts genommen hat. Es waren vor allen Aufmüpfige, Querdenker*Innen sowie Minister*Innen, die sich nicht genug ins Zeug legten, die am Donnerstag gehen mussten.
Am überraschendsten kam der Rücktritt von Finanzministers Sajid Javid. Javid sollte erst im März seinen neuen Haushalt vorstellen, in dem es unter anderem zu einer zusätzlichen Besteuerung für Großbritanniens Wohlhabenste kommen sollte – ungewöhnlich für eine konservative Regierung.
Doch Javid hatte sich bereits im letzten Sommer mit Dominic Cummings, dem Sonderberater von Premierminister Boris Johnson, in der Finanzpolitik gestritten – Cummings wollte mehr öffentliches Geld ausgeben als Javid. Zur Vergiftung der Beziehung soll es im Oktober gekommen sein, als Cummings ohne Vorabsprache mit Javid zwei von dessen engsten BeraterInnen mit sofortiger Wirkung entließ.
Nachfolger Rishi Sunak ist hingegen ein aalglatter regierungstreuer Brexit-Loyalist. Die Umbesetzung wird als Zeichen der direkten Kontrolle über das wichtige Finanzministerium durch Boris Johnson gesehen. Unter Tony Blair und Theresa May gab es Reibungen zwischen Premierminister*in und den Finanzministern Gordon Brown und George Osborne. Dieses Problem hat Johnson nun nicht mehr.
Auch der Rauswurf des Nordirland-Ministers Julian Smith überrascht. Denn er hatte erst im Januar den Stormont, das Regionalparlament von Nordirland, nach drei Jahren Stillstand wiederbelebt. War es ein angeblicher Einwand im letzten Jahr, dass ein ungeregelter Brexit „sehr, sehr schlecht für Nordirland wäre“, der ihm zum Verhängnis wurde?
Treue Brexitfront übernimmt
Auch der erzkonservative Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox und Handelsministerin Andrea Leadsome mussten ihre Posten aufgeben. Eine wichtige Neubesetzung ist der neue Handelsminister Alok Sharma, denn er soll gleichzeitig die nächste Klimakonferenz in Manchester leiten. Die ehemalige Leiterin Claire O’Neil wurde vor zwei Wochen von Johnson unter starkem Protest entlassen.
Sharma ist genauso wie Anne-Marie Trevelyan, die einst im Vorstand der „Vote Leave“-Kampagne saß und die nun den Posten für internationale Entwicklung nehmen soll, von der treuen Brexitfront der Regierung.
Während die Umbesetzung künftige Kabinettsentscheidungen leichter machen dürfte, könnten die Verlierer des heutigen Tages eine neue interne Gegenfront innerhalb der konservativen Partei bilden. Doch mit einer Mehrheit von 86 Stimmen sind ein Dutzend Gegner*Innen kein ernsthaftes Hindernis.
Leser*innenkommentare
06438 (Profil gelöscht)
Gast
Donald Boris Trump-Johnson - nun auch auf der anderen Seite des Kanals
Kabinetsumbildung getrieben durch Rache: Kopf ab für jeden, der jemals Johnson in Frage stellte oder Zweifel daran hatte, das es richtig sei, UK aus Europa heraus zu katapultieren. Diese Kabinettsumbildung ist nicht dafür gemacht Loyalität in der Regierung zu erzeugen und abzusichern sondern sie ist dazu da speichelleckenden Gehorsam am laufenden Band 24/7 zu produzieren.
Johnsons Auswahl an Ja-Frauen und fetten gelben Bäuchen ist das am wenigsten durchdachte, drittklassigste Kabinett in lebendiger Erinnerung. Die drei großen Staatsämter werden von jenen besetzt, die keine Bedrohung darstellen, weil sie ihre völlig unverdiente Beförderung allein dem PM verdanken.
Auch kleinere Meinungsverschiedenheiten werden rücksichtslos geahndet: Andrea Leadsom und Esther McVey, die es wagten, zu widersprechen, sind entlassen. Dieser sogenannte Premierminister, der den gemäßigten Flügel der Tories rücksichtslos auslöscht und niedermachte, selbst angesehene Persönlichkeiten wie Kenneth Clarke, vergibt niemals.
Im Innenministerium kann Priti Patel mit ultrapopulistischen Gesten in Bezug auf Einwanderung und Bestrafung wie ein Berserker herrschen, während der Ministerpräsident seinen eigenen „liberalen“ Ruf unangetastet lassen kann.
Was Dominic Raab im Auswärtigen Amt betrifft, so hat er sich als fähig erwiesen, sich wie ein Bataillon von Soldaten auf alles einzulassen, was mit dem Brexit zu tun hat. Auf Sky News legte er bereits seine Strategie dar, die EU für die neue Bürokratie, die Zölle und die Grenzkontrollen verantwortlich zu machen, die Johnsons eigene Politik der Abschottung, Kurzsichtigkeit, der ultranationalen Besoffenheit und Sturheit schaffen wird.
Britischer Konservativismus ist nun mausetot. (RIP). Die letzten 3 Brexshit Jahre waren daher eher ein lustiges Sandkastenspiel verglichen mit dem was jetzt kommen wird.
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
Auslandskorrespondent Großbritannien, Autor des Artikels
@06438 (Profil gelöscht) Coriander23, ich finde das haben Sie hervorragend ausgedrückt. Danke D.Z.