berlinmusik
: Aus alt mach neu

Es steht doch alles in den alten Texten! Daran scheinen Danielle De Picciotto und Alexander Hacke auf ihrem neuen Album gelegentlich erinnern zu wollen. „All men are created equal“ heißt die Zeile, die De Picciotto eingangs zu langsamen Gitarrentönen, Geigen und Glockenläuten zitiert. Der Satz entstammt der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, er variiert ihn später zeitgemäßer mit „All people are created equal“ und „All are created equal“. Nicht das einzige Mal, dass das Duo einen Urtext bemüht: im Song „Petty Silver“ wird das Bibelgebot „Thou Shalt Not Kill“ zitiert. Im Zusammenhang mit dem Albumtitel „The Current“ – „das Gegenwärtige“ – klingt all das wie eine traurige Standortbestimmung: Das scheinbar Selbstverständliche, es muss dieser Tage wieder besonders betont werden.

De Picciotto und Hacke, legendäre Figuren der Berliner Subkultur (die eine als Bildende Künstlerin und Musikerin, der andere als Neubauten-Bassist), haben zuletzt schon „Perseverantia“ (2016) und das großartige „Menetekel“ (2018) veröffentlicht (gefolgt vom Meditationssoundtrack „Joy“). Auf „The Current“ harmonieren Hackedepicciotto, wie sie sich symbiotisch nennen, noch besser, ihre Mischung aus Folk, Global Pop, Spiritual, Drone, klassischer und elektronischer Musik ist spektakulär. Der Track „Metal Hell“ etwa beginnt mit Spoken-Word-Passagen, mutet zunächst meditativ und ambientmäßig an, ehe sich daraus ein treibendes, repetitives Stück zwischen Rock und Elektronik entwickelt. Ähnlich bei „The Banishing“, das mit Breakbeats beginnt, um in Richtung Eighties-/Postpunk abzudriften, jedoch unterschwellig fiebrig nervös bleibt. „Onwards“, eines der Highlights, erinnert dagegen an Acts des kanadischen Constellation-Labels wie Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra oder Godspeed You! Black Emperor. Dies sind nur einige von sehr vielen Einflüssen.

Hackedepicciotto machen ihr ureigenes Ding, was sich etwa an einer überraschenden Neuinterpretation von Heinrich Heines „Loreley“ (1824) zeigt, die mit elegischen Geigen und einer mit Hall verfremdeten Stimme ziemlich sanft und melancholisch daherkommt. Und auch da zeigt sich: Es steht doch alles in den alten ­Texten! Jens Uthoff

Hackedepicciotto: „The Current“ (Potomak/Indigo); Releasekonzert: 25. 3., Berghain-Kantine