Vielfache Spiegelung

Menschenaffen, Theaterzuschauer: Wer wen wie liest, ist ein offenes Spiel bei Anta Helena Recke am HAU

Von Katrin Bettina Müller

Als am 28. Januar die zehn Inszenierungen, die zum Theatertreffen im Mai nach Berlin eingeladen werden, bekannt gegeben wurden, konnte sich auch das HAU in Berlin freuen. Denn es ist mit den Münchner Kammerspielen Koproduzent von Anta Helena Reckes Stück „Die Kränkungen der Menschheit“. Die Vorstellung ab 6. Februar in Berlin waren gleich ausverkauft, eine zusätzliche wurde angesetzt.

„Die Kränkungen der Menschheit“ ist ein seltsames und rätselhaftes Stück mit Bildbeschreibungen, Texten aus dem Off, Affen (von Menschen gespielt) und Menschen auf der Bühne. Mit ihm macht die junge Regisseurin Anta Helena Recke zum Thema, wie wir Bilder deuten, was das über den Deutenden aussagt, wie wenig bewusst uns dabei wahrscheinlich die Abhängigkeit dessen, was wir zu sehen glauben, von dem ist, für den wir selbst uns halten. Wie jede Beobachtung, ob von Tieren, von anderen Menschen oder die Betrachtung von Kunst eben auch davon abhängt, wo der Betrachter sich selbst verortet.

Aber, halt, das so zu formulieren ist erst ein nachträglicher Schritt; ein Versuch, unterschiedliche Bilder zu sortieren und nach einem gemeinsamen Nenner zu suchen. In der Aufführung selbst erlebt man zunächst eine angenehme Entschleunigung, wenn sieben Schauspieler:innen als Affen auftreten, langsam den Raum durchmessen, rufen und schnattern, Nüsse aufsammeln, sich lausen und sich dabei nur gelegentlich für einen gläsernen Raum in der Mitte interessieren, einen fahrbaren Kubus. Wer noch in Zoologische Gärten geht, fühlt sich an das Vergnügen der Beobachtung dort erinnert, aber zugleich von einem Misstrauen durchzogen; hier, im Theater, kommt sicher gleich der Kontext, der der zu Zeiten des Kolonialismus entstandenen Schaulust die Rechnung präsentiert.

Doch stattdessen kommt ein Mann im Kittel, man fürchtet Akte von Dressur, er ist auch nicht allen Affen sympathisch, aber viel passiert nicht. Die Gewalt, die man erwartet, bleibt im eigenen Kopf.

Ein Bild wird beschrieben, von einer Stimme aus dem Off, ein Gemälde aus dem 19. Jahrhundert, Stil der Salonmalerei: Eine Gruppe von Affen betrachtet ein Bild. Sind wir, die Theaterzuschauer, die Affen? Oder sind wir auf dem Bild dargestellt? Bald taucht auf der Bühne eine Gruppe von Museumsbesuchern auf, die sich in den Kubus stellt und über ein Bild diskutiert, auf dem selbst wiederum ein Bildbetrachtender dargestellt sind. Das hat etwas von der Puppe in der Puppe, vielfache Spiegelung und Brechung des Deutungsvorgangs. Keiner von ihnen kann für alle sprechen, so weit sind sie sich vielleicht einig; aber wurden sie nicht durch eine durchsichtige Konstruktion in diese Lage gebracht, bezweifelt einer.

Zuletzt dann tauchen viele junge Frauen auf, die meisten people of color, in langen farbigen Kostümen, durchqueren den Raum entspannt plaudernd, mehr interessiert an ihrer Gruppe als an der Umgebung. Ein bisschen so, wie Schulklassen im Museum. Schließlich verlangsamen sich ihre Bewegungen, sie umkreisen den Kubus, drehen ihn, das hat etwas von einer Prozession, einem Ritus und lässt den Abend so langsam enden, wie er begann.

Als Kritik am Universalismus, am weißen Sprechen als Repräsentant der Menschheit, wird der Abend verstanden, zum Beispiel von der Jury des Theatertreffens. Doch er ist gar nicht so thesenhaft gebaut, er gleicht mehr einer Teststrecke von Situationen, die nicht alle zu verstehen vielleicht auch okay ist.