André Hellers „Rosenkavalier“ in Berlin: #MeToo und richtig lieben

Eine Frau, die alles weiß über die Lust, die Liebe, das Leiden – André Heller inszeniert den „Rosenkavalier“ an der Staatsoper in Berlin.

Schauspieler auf einer Bühne

Camilla Nylund (Feldmarschallin Fürstin Werdenberg), Michèle Losier (Octavian) und die Japan­mode Foto: Ruth Walz

Wie die Zeit vergeht! Camilla Nylund singt davon. Man sitzt da und spürt es bis unter die Haut. Die finnische Sängerin singt ihre Rolle nicht nur, sie füllt sie aus mit ihrer ganzen Person.

Sie ist die Feldmarschallin Fürstin von Wardenberg, eine Kunstfigur, erfunden von Hugo von Hofmannsthal für Richard Strauss, den Komponisten der Opern „Salome“ und „Elektra“. Damit hatte das 20. Jahrhundert gerade begonnen, in den Ohren des Publikums klang es schrill und wüst. Jetzt aber, mit dem „Rosenkavalier“ von 1911, war es schon wieder vorbei.

Nylunds Stimme ist sicher und wohlklingend in jeder Lage. Sie muss weit ausholen und einen langen Atem haben, aber nicht, weil Extreme der Moderne zu bewältigen sind. Ganz im Gegenteil, sie muss an Mozarts Welt des 18. Jahrhunderts erinnern, weil sie die Stimme einer Frau ist, die alles weiß über die Lust, die Liebe und das Leiden daran. Es vergeht alles und ist schön, weil es seine Zeit hat.

Zeit allerdings muss man sich auch nehmen an diesem Abend. Camilla Nylund entlässt uns mit ihrer großen Stimme und großen Gedanken einer alternden Frau erschüttert in die erste Pause. Aber es hat lange gedauert bis zu diesem fraglosen Höhepunkt.

André Heller feiert Hugo von Hofmannsthal

Das also soll der „Rosenkavalier“ in der Version von André Heller sein? Lieder, Gärten, Zirkus, Politik und Spektakel hängen am Namen des heute 73 Jahre alten Mannes, doch nichts davon ist zu bemerken. Nun ja, das Lotterbett für die Fürstin und ihren Liebesbuben hätte wohl auch Hippies gefallen, was aber möchte die Künstlerin Xenia Hausner mit ihren Farben- und Schattenspielen dahinter sagen?

Der „Rosenkavalier“ ist nicht mehr komisch, Me Toohat alles verändert

Wenig, sie sind nur Dekoration, denn Heller geht es allein um Hugo von Hofmannsthal. Um ihn zu feiern, braucht er Erinnerungen an die Moden im Wien der Jahrhundertwende. Japanisch wie im ersten Akt war sehr beliebt. Dann gab es den Jugendstil, womit es weitergeht im zweiten Akt. Im Stadtpalais des Aufsteigers Faninal hängt das „Beethovenfries“ von Gustav Klimt. Das viele Gold um die Nackerten herum ist ziemlich verblasst, auch hier vergeht die Zeit.

Sehr schnell sogar, nicht auf der Bühne zwar, aber die Vergangenheit des Anfangs weicht plötzlich der Gegenwart, einer Gegenwart, die wir nur zu gut kennen. Günther Groissböck hat schon im ersten Akt die Liebeslust verdorben mit einer endlosen Tirade über die Frauen und wie man sie ficken soll. Meistens wird dieser Text aus der Rolle des Barons Ochs auf Lerchenau gestrichen, Heller lässt ihn in voller Länge singen und Groissböck macht mit Riesenstimme und Wiener Dialekt eine große Nummer daraus.

Ganz in Gold gekleidet wartet Roman Trekel danach als Bürger Faninal auf den Adligen, dem er seine Tochter liebend gerne verkaufen möchte. Wer hereinkommt, ist aber nicht der Baron vom Land, sondern – „Hab’ die Ehre“ – Harvey Weinstein persönlich.

Der „Rosenkavalier“ ist nicht mehr komisch

Groissböck ist ein wunderbarer Sänger und Schauspieler, aber es liegt nicht an ihm. Heller bringt Hofmannsthals Stück mit so viel Ruhe, Sorgfalt und Genauigkeit auf die Bühne, dass es in der Gegenwart spielt. Und nur dort. Der Modedesigner Arthur Arbesser hat dafür Kostüme von edler Eleganz entworfen. Der Baron jedoch trägt einen Anzug von der Stange. Das reicht. Der Preis dafür ist hoch, denn der „Rosenkavalier“ ist nicht mehr komisch. Er kann es nie wieder sein, Me Too hat alles verändert. Nur bei Hofmannsthal muss man gar nichts ändern, kein Wort. Aber bei uns. Hofmannsthal hat Weinstein gut gekannt.

„Der Rosenkavalier“, wieder in der Staatsoper am 19./22./27. + 29. Februar

Der letzte Akt spielt bei Heller in einem üppigen Palmengarten unter Glas, was damals auch sehr beliebt war in Wien. Eigentlich soll es jetzt besonders lustig werden, weil der Baron auf den Liebhaber der Fürstin scharf ist, der sich als Zimmermädchen verkleidet hat. Eine doppelte Hosenrolle übrigens: Der junge Graf Octavian muss tatsächlich von einem hohen Sopran gesungen werden. Michèle Losier macht das sehr schön und Groissböck gibt sein Bestes, zu lachen gibt es trotzdem nichts. Nichts mehr.

Höchst aktuell wurde der Baron schon immer von der Polizei abgeführt. Danach ist die Bühne frei für drei Frauen. Und für die Ewigkeit des Weltalls am Bühnenhorizont. Camilla Nylund, die Marschallin beginnt: „Ich wollte ihn richtig lieben“, den „Buben“, wie sie ihn nennt, nämlich auch seine Liebe zur Bürgertochter Sophie. Aber sie kann es nicht. Sie leidet darunter.

Michèle Losier und Nadine Sierra hören zu, versuchen zu verstehen. Mit einem zittrigen Greis am Arm tritt Nylund ab, das junge Paar fällt sich singend in die Arme.

Es ist zum Weinen schön, getragen vom virtuosen Wohlklang der Musik von Richard Strauss, durchsetzt von eher ehrfürchtigen als ironischen Zitaten seiner eigenen Vergangenheit. Zubin Metha dirigiert sie, die Staatskapelle spielt sie, und damit ist schon alles gesagt: besser geht es nicht. So klingt große Oper bis heute.

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