Schü­le­r*in­nen in Chile blockieren Aufnahmetests

Die Zulassungsprüfung für Universitäten verstärke die soziale Ungleichheit, so die Kritik

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

An Chiles Universitäten und Sekundarschulen herrscht Hochspannung. Nicht nur wegen der seit Oktober anhaltenden sozialen Unruhen, an denen sich täglich zahlreiche Studierende und Schü­le­r*in­nen beteiligen. Kommende Woche sollen die Zulassungsprüfungen für die Unis stattfinden. Bereits dreimal musste die so genannte Prueba de Selección Universitaria (PSU) verschoben werden. Ob es im vierten Anlauf klappt, ist offen.

Rund 300.000 Schü­le­r*in­nen der Sekundarstufe haben sich für die PSU angemeldet. Die besteht aus den beiden Pflichtfächern Spanisch und Mathematik sowie den Wahlfächern Geschichte, Geografie oder Sozialwissenschaften. Seit gut 16 Jahren finden die Auswahltests statt. Und genauso lang schon werden sie als soziale Selektion beim Zugang zu Chiles Universitäten kritisiert. Allen voran die Koordinierungsversammlung der Se­kun­dar­schü­le­r*in­nen Chiles, die Asamblea Coordinadora de Estudiantes Secundarios (ACES), kritisiert die Prüfung als „Segregation im Bildungsbereich“. Schü­le­r*in­nen aus wohlhabenden Schichten gelänge immer die Zulassung. Dagegen blieben jene ausgeschlossen, die von den öffentlichen Schulen kommen. Schul­ab­gän­ge­r*in­nen aus der Unterschicht hätten weit weniger Chancen, einen Studienplatz zu bekommen.

Die Chancenungleichheit beginnt in der Primärschule. Von Chiles rund 3,5 Millionen Schü­le­r*in­nen besuchen 35 Prozent die kostenlosen öffentlichen Schulen, 55 Prozent bezahlen für den Besuch privater Schulen, die zudem vom Staat subventioniert werden. Die restlichen 10 Prozent besuchen reine Privatschulen. Diese Zahlen veröffentlichte kürzlich die Nachrichtenagentur Associated Press.

Studieren in Chile ist teuer. 1981 wurde das kostenlose Studium an staatlichen und privaten Unis abgeschafft. Wer sich ein Studium nicht leisten kann, muss ein Stipendium ergattern – oder einen Kredit aufnehmen. Auch nach einer Bildungsreform von 2015 blieb das Studium kostenpflichtig. Die Plätze an den wenigen guten, günstigen und staatlichen Hochschulen sind begehrt. Berichte, die die Chancenungleichheit bei der PSU kritisieren, gibt es reichlich. Etwa der 2005 verfasste, aber sieben Jahre unter Verschluss gehaltene Bericht des renommierten US-Unternehmens Educational Testing Service, der unter anderem die mangelnde Transparenz bei der Veröffentlichung der Resultate anprangerte.

„Wir wollen keine segregierenden Prüfungen mehr, die unsere Zukunft dem Markt und seinem Geschäft mit der Bildung opfert“, verkündete die ACES, als der Rektorenrat der Universitäten die PSU für Anfang Januar neu angesetzt hatte. „Der 6. und der 7. Januar werden keine normalen Tage für die Schü­le­r*in­nen der Sekundarstufe sein“, so die Ver­tre­te­r*in­nen. Ihrem Aufruf folgend, wurden landesweit zahlreiche Bildungseinrichtungen besetzt, an denen die Prüfungen abgenommen werden sollten. Gelang dies nicht, wurde die Prüfung lautstark gestört. Als dann an den Prüfungstagen auch noch bekannt wurde, dass 23 der 80 Prüfungsfragen für Geschichte, Geografie und Sozialwissenschaften von Unbekannten veröffentlicht wurden, zog die zuständige Behörde die Reißleine – und verschob die Prüfung.

„Die Gewalttäter werden vor Gericht gestellt und von der Justiz abgeurteilt, und die Studenten werden eine weitere Gelegenheit haben, die Prüfung abzulegen und ein neues Leben in der Höheren Erziehung zu beginnen“, twittert zornig Chiles Staatspräsident Sebastian Piñera kurz danach.

Dagegen feierte die ACES die Absage als Triumph des Volk. „Mehr als 10 Generationen haben für das Ende dieses Tests gekämpft, und seit diesem Jahr ist klar, dass dieser diskriminierende Test nie wieder durchgeführt werden kann“, sagte ACES-Sprecherin Ayelén Salgado und betonte, dass die ACES mit dem Durchsickern der Prüfungsfragen nicht zu tun habe.

Nun hat der Rektorenrat der Universitäten die PSU für den 27. und 28. Januar neu angesetzt. Allerdings wird es, beschloss der Rat, keine Geschichtsprüfung mehr geben. Betroffen davon sind über 200.000 Prüfungswillige, die für das beliebte Prüfungsfach gebüffelt hatten und sich ein gutes Abschneiden erhofft hatten. Offen ist, wie viele Schü­le­r*in­nen nächste Woche gegen diese offensichtliche Chancen­ungleichheit protestieren werden.