Opfer neben Opfer neben Täter?

In Harsefeld soll eine Gedenkstelle für die Opfer der NS-Gewaltherrshaft entstehen – direkt neben einem Kriegerdenkmal für deutsche Soldaten. Gegen die Pläne regt sich Widerstand, nun reagiert die Lokalpolitik

Von Nele Spandick

„Den Gefallenen“ steht in Stein gemeißelt über einem metallenen Kreuz. Es ist der Mittelpunkt der Kriegsgedenkstätte am Rande eines Parks in Harsefeld bei Buxtehude. Sie wurde nach dem Ersten Weltkrieg als Kriegerdenkmal errichtet, nach dem Zweiten Weltkrieg ergänzt um zwei weitere Schriftzüge: „Den Gefallenen und Vermissten 1914-1918 + 1939-1945“ und: „Den Toten des deutschen Ostens und den Opfern der Vertreibung“. Nun sollen auch die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Teil des Denkmals werden. So jedenfalls hat es der Kulturausschuss der Samtgemeinde Harsefeld beschlossen. Auf zwei Stelen sollen die Namen der NS-Opfer aus der Region stehen, berichtete das Neue Buxtehuder Wochenblatt.

Gegen diesen Plan richtet sich der Widerstand von Michael Quelle, der seit drei Jahren ehrenamtlich zu NS-Opfern in der Region Stade recherchiert. „Ich habe nichts gegen das Gedenken an Opfer von Kriegen, die Vermischung verschiedenster­ Gruppen an einem Ort fördert­ aber nicht das Lernen aus der Geschichte und entspricht nicht der heutigen Gedenkkultur“­, schreibt er in einem Brief an den Bürgermeister, die Fraktionsvorsitzenden und die Ausschussmitglieder. Der Brief liegt der taz vor.

Unbedacht und blauäugig

Unterstützung erfährt Quelle von Jens-Christian Wagner, dem Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, in einer schriftlichen Einschätzung. Ohne die räumliche Trennung vom bisherigen Denkmal „könnte der Eindruck entstehen, die NS-Verbrechen könnten relativiert werden, indem­ deutsche Soldaten (unter denen sich auch Nationalsozialisten und möglicherweise auch Täter befunden haben) genauso geehrt werden wie die Opfer der NS-Verbrechen.“ Er hält die Pläne deshalb für „ethisch, wissenschaftlich und politisch unangemessen.“

Die Kommunalpolitik hat die Kritik inzwischen aufgegriffen: Karl-Heinz Holst ist Ausschussmitglied der Gruppe Grüne/Linke, die den Vorschlag eines Gedenkortes ursprünglich vorgebracht hatte. Er sei froh gewesen, dass einstimmig dafür­ gestimmt wurde. Die Kritik könne er jedoch verstehen. „Da sind wir einfach unbedacht und blauäugig hineingetappt“, sagt er. Da die konkrete Ausgestaltung noch nicht beschlossen ist, scheint es nun so, als würde spätestens bei der nächsten Ausschusssitzung am 16. Juni ein neuer Ort gesucht werden.

Denn auch die CDU ist für Änderungen offen, sie ist im Gemeinderat in einer Fraktion mit der SPD in der Mehrheit. Der Ausschussvorsitzende Hartmut Schröder sagt, gerade wenn Angehörige sich gestört fühlten, müsse man über das Konzept noch mal nachdenken. Gleichzeitig halte er es nicht für generell falsch, Gefallenen am selben Ort zu gedenken: „Aus meiner Sicht sind die Soldaten unter Adolf Hitler auch hauptsächlich Opfer gewesen.“ Eine Aussage, die aufhorchen lässt: Quelle bezeichnet sie als ahistorisch. Trotzdem ist er froh, dass die fachliche Autorität von Wagner ernst genommen wird.

Auch der parteilose Bürgermeister Rainer Schlichtmann hat inzwischen mit Quelle telefoniert und um seine Einschätzung gebeten. Er ist auf der Suche­ nach einem neuen, geeigneteren Standort.