Hamburger FDP nach Thüringen-Debakel: Arsch auf Grundeis

Die Hamburger FDP bangt nach dem Thüringen-Debakel um den Einzug in die Bürgerschaft. Mit Distanzierungen versucht sie zu retten, was zu retten ist.

Ein Demonstrationszug wird von Transparenten mit der Aufschrift "Dem rechten Mob entgegentreten" und "Antifa" angeführt.

Rund 1.500 Demonstrant*innen zogen am Mittwoch Abend spontan vor das Fraktionsbüro der Hamburger FDP Foto: dpa

HAMBURG taz | „Wer lässt sich mit Nazis ein? FDP Scheißverein“, brüllen die Demonstrant*innen vor der FDP-Landesgeschäftsstelle am Hopfenmarkt. Drinnen rührt sich nichts. Blumensträuße, eingewickelt in das Glatze-mit-Köpfchen-Wahlplakat des frisch gewählten Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP), fliegen an Polizist*innen vorbei in Richtung Büro. Keine Reaktion der Partei. Der nächste Sprechchor der wütenden Menge: „Wir sind alle Antifaschisten!“ Es ist kein „Wir auch“ von der FDP zu hören.

Die Demo ist spontan entstanden. Wie in vielen anderen deutschen Städten auch, haben sich in Hamburg am Mittwochabend als Reaktion auf die Wahl Kemmerichs, die nur mit den Stimmen der AfD möglich war, Kritiker*innen zum Protest getroffen. Laut Polizei waren es in der Spitze 1.500 Menschen, die von den Fraktionsbüros der CDU und AfD zur FDP gezogen sind.

„Herr Kemmerich muss zurücktreten als Ministerpräsident“, fordert der Demonstrant Christian Pereira. Er trägt eine Fahne der Jusos an einem Stab über der Schulter. „Und die Hamburger FDP muss sich jetzt für die Bürgerschaftswahl warm anziehen, weil das Vertrauen definitv weg ist.“

Einen Tag später, am Donnerstag, geschieht das, was der Demonstrant gefordert hat: Thomas Kemmerich kündigte an, sein Amt als Ministerpräsident aufzugeben. Diesen Rücktritt bezeichnet er als „unumgänglich“. Der Thüringer Landtag soll aufgelöst werden. Es wird auf Neuwahlen in Thüringen hinauslaufen.

FDP sagt Bürgergespräch ab

Die Hamburger FDP bringt das ins Wanken – nur gute zwei Wochen vor der Bürgerschaftswahl. Nach der neuesten Umfrage des Forschungsinstituts Infratest Dimap liegen die Liberalen bei fünf Prozent. Ihr Einzug ins Parlament scheint unsicherer denn je. Zum Zeitpunkt der Befragung lag das Debakel in Thüringen noch in der Zukunft.

Die Hamburger FDP versucht sich nun, so weit es geht, von der Wahl des Ministerpräsidenten zu distanzieren. „Dass Thomas Kemmerich zurückgetreten ist, war überfällig“, sagt Anna von Treuenfels-Frowein, die Spitzenkandidatin der Hamburger Liberalen. Doch die Ereignisse in Thüringen werfen kein gutes Licht auf die Partei. Treuenfels-Frowein sagt: „Als Kemmerich die Wahl angenommen hat, haben sich die Chancen der Hamburger FDP nicht verbessert. Auch mich als Spitzenkandidatin hat das schwer getroffen und wir haben uns sofort distanziert.“

In einer Pressemeldung verkündet die Partei noch am Abend der Ministerpräsidentenwahl und der Demo: „Keine Zusammenarbeit mit der AfD in Hamburg“. Treuenfels-Frowein sagt: „Thomas Kremmerich hat sich von der AfD vorführen lassen – das war verkehrt. Aber deshalb hat die FDP nichts mit den Überzeugungen dieser Partei zu tun. Wir lehnen die Ziele und Grundhaltung der AfD entschieden ab.“

Dennoch: Es ist das erste Mal, dass die AfD dabei hilft, einen Ministerpräsidenten ins Amt zu heben, eben einen Kandidaten der FDP. Das erregte die Gemüter – auf Twitter, auf Facebook, auf der Straße.

Die Demo vor dem FDP-Büro endete mit einem Aufruf: „Bitte geht wählen, damit die AfD aus der Bürgerschaft fliegt.“ Die AfD liegt nach der neusten Umfrage von Infratest Dimap bei 7 Prozent, also vor der FDP.

Am Donnerstagabend hatten die Liberalen zu einem Bürgergespräch in das Haus 73 in der Sternschanze eingeladen. Dort wollte die FDP über die Legalisierung von Cannabis sprechen. Nach der Ankündigung von Protestaktionen sagte die Partei die Veranstaltung ab. Das geschehe „zum Schutz unserer Gäste, des Kulturhauses 73 und des gesamten Viertels“, erklärte sie auf Face­book. Wieder spricht die FDP nicht mit ihren Kritiker*innen.

Neben FDP und AfD hat auch die CDU in Thüringen Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt. Der Hamburger CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg sagt dazu: „Wir grenzen uns stark von den Thüringer Kollegen ab. Was dort vorgefallen ist, ist erbärmlich.“ Für die Hamburger CDU gelte, weder mit Linken noch mit Rechten zusammenzuarbeiten. „Man kann beide nicht in einen Topf werfen“, betonte Weinberg dabei. „Die Thüringer CDU hätte sich im dritten Wahlgang enthalten müssen. Das nimmt uns auch in Hamburg mit.“ Die CDU würde derzeit 14 Prozent der Wähler*innenstimmen bekommen.

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