Karstadt am Hermannplatz: Streit um alten Glanz

Investor, Senat und Neuköllner Bezirksbürgermeister sind begeistert vom monumentalen Projekt. Die Zivilgesellschaft nicht.

Karstadt am Hermannplatz: Ein Architekten-Modell zeigt ein riesengroßes Gebäude, das im Stile der 20er Jahre errichtet ist.

Größer ging wohl nicht: Architekten-Modell des geplanten Karstadt-Gebäudes am Hermannplatz Foto: David Chipperfield Architects

BERLIN taz | Der Immobilienkonzern Signa des österreichischen Milliardärs René Benko will das Karstadt-Gebäude am Hermannplatz abreißen, um es dann im alten Glanz der 1920er Jahre wiederaufzubauen. Benkos Pläne stoßen in der Zivilgesellschaft auf Widerstand: Der Bau sei unnötig und würde angestammtes Gewerbe verdrängen. Der Argumentation folgte auch der grüne Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt und erteilte dem Projekt im vergangenen Jahr eine Absage. Doch Benko ist niemand, der einfach aufgibt. Um sein ambitioniertes Bauvorhaben doch noch durchzusetzen, setzt sein Konzern ganz auf Dialog.

Signas Erklärung Anfang vergangenen Jahres, am Hermannplatz eine Replik des Original-Karstadtgebäudes aus den 1920er Jahren wiedererrichten zu wollen, löste vor allem in Medien und Politik Begeisterung aus. „Berlin bekommt seinen größten Einkaufstempel zurück“, titelte zum Beispiel die B.Z. über einer an 1920er-Jahre-Nostalgie kaum zu überbietenden Konzeptzeichnung, auf der elegant gekleidete Pärchen auf der historischen Dachterrasse über den Dächern Berlins tanzen.

Auch Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) – das Karstadt-Grundstück liegt auf Kreuzberger Boden, der angrenzende Hermannplatz gehört zu Neukölln – zeigte sich zunächst enthusiastisch und sprach von dem „architektonischen Glanz“, der am Hermannplatz wiedererstehen könne.

Weniger begeistert zeigte sich die Zivilgesellschaft. Kriti­ke­r*in­nen befürchten, das Prestigeprojekt würde den ohnehin schon starken Verdrängungsdruck auf Anwohnende und Gewerbetreibende verstärken. „Das wird die Immobilienspekulation in Kreuzberg und Neukölln weiter anheizen“, erklärt Niloufar Tajeri von der Initiative Hermannplatz, die sich gegen Signas Pläne engagiert.

Das Unternehmen Signa plant in Berlin zahlreiche weitere Großprojekte, darunter Hochhäuser am Alexanderplatz und am Ku’damm. Inhaber Milliardär René Benko (43) steht im Verdacht, dass er der rechtspopulistischen FPÖ illegale Parteispenden hat zukommen lassen. 2013 wurde Benko bereits wegen Korruption verurteilt.

Abriss oder nicht? Zur Frage, wie der Hermannplatz der Zukunft aussehen soll, diskutieren Dienstagabend ab 19 Uhr im Neuköllner Café Refugio in der Lenaustraße 3–4 die Baustadträte Florian Schmidt und Jochen Biedermann mit der Abgeordneten Susanna Kahlefeld (alle Grüne). (jowa)

Die ursprüngliche Planung sah vor, im Neubau die Fläche der Karstadt-Filiale zu verkleinern, dafür aber deutlich mehr Einzelhandel, Büros, ein Hotel und Luxuswohnungen anzusiedeln. Das migrantische Kleingewerbe, das die Umgebung bisher prägte, bekäme dadurch enormen Konkurrenzdruck, dem es unmöglich standhalten könne, fürchten die Kritiker. Und die Großbaustelle würde bei einer Mindestbauzeit von fünf Jahren den Hermannplatz komplett lahmlegen. Zudem sei ein Abriss des komplett funktionalen Karstadt-Gebäudes unnötig.

Gründe genug für Baustadtrat Schmidt, im vergangenem September dem Projekt eine krachende Absage zu erteilen. „Die geplante Fassadenre­kon­struk­tion ist nur noch eine Hülle für ansonsten austauschbare Nutzungen“, hieß es in der Pressemitteilung des Bezirks, in der er die Ablehnung des notwendigen Bebauungsplans begründete.

Seitdem mobilisiert Signa auf allen Ebenen Unterstützung für das Projekt. „Wir können unsere Projekte mit sehr viel Geduld und guten Argumenten angehen. Bisher sind wir so immer ans Ziel gekommen“, erklärte Benko im vergangenen November bei einem Vortrag in der Industrie- und Handelskammer. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) hat der Milliardär schon auf seiner Seite; sie reagierten entsetzt auf Schmidts Absage und erklärten, dass der Senat das Bebauungsplanverfahren zur Not an sich ziehen werde.

Doch auch die Zivilgesellschaft und die Bezirkspolitik will Signa umstimmen. Vor zwei Wochen wurde die Firma eingeladen, ihre Pläne vor dem Stadtentwicklungsausschuss im Neuköllner Rathaus zu präsentieren. Die Gegner*innen hielten mit rund 150 Leuten eine Kundgebung vor dem Rathaus ab. Etwas schnippisch und leicht nervös richtete Signa-Projektmanager Thibault Chavanat seine ersten Worte an die Aktivist*innen: „Danke, dass Sie Karstadt gemeinsam mit uns erhalten wollen.“

Plötzlich bezahlbarer Wohnraum?

Die folgende Präsentation wirkte wie der Versuch, den Argumenten der Gegner*innen systematisch die Grundlage zu entziehen. Karstadt solle in seiner ursprünglichen Größe erhalten werden, erst durch den Neubau würde das Kaufhaus angesichts sinkender Umsatzzahlen zukunftsfähig gemacht werden. Die Einzelhandelsfläche werde nicht vergrößert. Statt Luxuswohnungen und Hotels gäbe es jetzt bezahlbaren Wohnraum und Gemeinschaftsnutzung.

Und falls man sich Sorgen über die Umweltbilanz des monumentalen Projekts mache: Das neue Gebäude sei so energieeffizient, dass es nach Signas Berechnungen CO2-neutral wäre, so Chavanat. Überhaupt, und das war die Hauptbotschaft, seien das ja alles nur Vorschläge. Die konkrete Nutzung wolle man in Dialog- und Beteiligungsverfahren ­erarbeiten.

„Signa befindet sich gerade in der Verkaufsphase“, schätzt Niloufar Tajeri die Taktik des Konzerns ein. Doch letztendlich gebe es keine wirksamen politischen Instrumente dafür, dauerhaft eine bestimmte Nutzung in einem solchen Gebäude zu garantieren.

Obwohl Signa die Kaufhausketten Karstadt und Galeria-Kaufhof unter massivem Einkommensverzicht der Beschäftigten wieder in die Gewinnzone gebracht hat, verdient der Konzern sein Geld in erster Linie mit der Vermietung von Immobilien. Daher ist der Neubau, der die bisherige Gesamtfläche nach ursprünglicher Planung fast verdreifachen würde, für Signa so wichtig.

Signas Angebot sei daher nur ein Scheindialog: „Der Abriss ist für Signa alternativlos“, so Niloufar Tajeri. Von gleichberechtigter Beteiligung könne keine Rede sein. Daher fordert die Initiative Hermannplatz ein durch die Zivilgesellschaft organisiertes Verfahren, an dem alle Akteur*innen gleichberechtigt mitwirken können: „Die Bedürfnisse der Menschen auf dem Platz sollen im Vordergrund stehen und nicht die von Ei­gen­tümer*innen und Investoren“, so Tajeri. „Wir wollen entscheiden.“

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