Einfluss auf Klimapolitik durch Brexit: Klima-Champion verlässt die EU

Großbritannien war EU-Vorbild beim Kampf gegen die Erderhitzung. Der Brexit macht es jetzt für alle schwieriger, die Klimaziele zu erreichen.

Ein Arbeiter in einer knallgelben Uniform baut ein Windrad auf

Immer mehr sauberer Strom: Aufbau einer Windkraftanlage im Lake District Foto: imago

BERLIN taz | Im Jahr 2020 hat Europa viel vor: Die EU will konkret beschließen, wie sie bis 2050 keine Treib­hausgase mehr ausstößt; mit dem Green Deal sollen Milliarden in den Umweltschutz fließen; die CO2-Reduktionsziele für 2030 will die EU-Kommission deutlich verschärfen.

Außerdem wollen die Europäer mit China einen Deal für gemeinsamen Klimaschutz machen. Und die UN-Konferenz in Glasgow im November soll alle Staaten der Welt zu mehr Anstrengungen verpflichten. Europa hat nur ein Problem dabei: Alle diese Ziele werden durch den Brexit deutlich schwieriger zu erreichen.

Denn mit dem Vereinigten Königreich, das am 31. Januar die Europäische Union verlässt, geht ein europäischer Klima-Champion von Bord. Das Mutterland der industriellen Revolution und der Kohlenutzung ist mit einem Minus von knapp 45 Prozent ein Vorbild bei der Reduzierung von Treibhausgasen, während die Wirtschaft wächst. Es treibt die Klimapolitik zu Hause und im Ausland voran.

Britische VertreterInnen aus Diplomatie, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik haben in den letzten Jahrzehnten maßgeblich die Klimapolitik der EU gestaltet. Sie haben sich gegen die Bremser aus Osteuropa gestellt, Finanzmittel durchgeboxt und der EU international Gewicht gegeben. „Mit den Briten verlieren wir ein Schwergewicht im Klimaschutz“, sagt Audrey Mathieu, zuständig für Europäische Klimapolitik bei der Entwicklungsorganisation Germanwatch.

11 Milliarden Euro fehlen künftig in EU-Budget

Ab dem 31. Januar heißt das: keine britischen EU-Abgeordneten mehr, keine offizielle Mitwirkung von Briten in der EU-Kommission. Das schwächt etwa die grüne Fraktion, deren britischer Flügel der drittstärkste nach Ländern war.

Im aktuellen Gezerre um das EU-Budget fehlen mit dem Ausstieg der Briten etwa 11 Milliarden Euro, schätzt Mathieu. Ein Viertel des Haushalts will die Chefin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, in den Klimaschutz investieren – dieser Kuchen wird nun wohl kleiner.

Klimaschutz wird durch den Brexit für Resteuropa schwieriger und teurer: Weil die Briten überproportional viel CO2 eingespart haben, liegt die EU nun etwa 2 bis 3 Prozentpunkte weiter von ihrem Klimaziel entfernt, schätzen Experten. Andere Länder müssen jetzt mehr leisten, um das EU-Ziel von minus 40 Prozent in 2030 zu erreichen – und erst recht, wenn diese Marke auf 50 oder 55 Prozent geschraubt werden soll.

„Da kommen höhere Verpflichtungen auf uns zu“, schwant einem deutschen Beamten. Unklar ist bislang auch, ob die Briten im EU-Emissionshandel bleiben oder sich mit ihm nur verbinden, wie es die Schweiz gerade getan hat.

Briten müssen UNO Klimaplan vorlegen

Aber auch die Briten müssen sich mehr anstrengen. Weil sie nicht mehr unter dem EU-Schirm segeln, müssen sie der UNO schnell einen eigenen Klimaplan (NDC) vorlegen. „Das soll im Frühjahr geschehen“, sagt Antony Froggatt vom Thinktank Chatham House in London. Premierministerin Theresa May hatte im letzten Sommer das Ziel ausgegeben, Großbritannien bis 2050 „net zero“, also klimaneutral, zu machen.

Premier Boris Johnson hat das Ziel übernommen, „aber das erfordert jetzt harte Entscheidungen für die nächsten Jahre“, so Froggatt. „Wir werden schnell sehen, ob das ernsthaft betreiben wird oder nur Rhetorik war.“

Einerseits findet in Großbritannien der Kampf gegen die Klimakrise seit Jahren einen breiten politischen Konsens. 2008 erließ das Parlament das erste Klimagesetz und eine unabhängige Climate Change Commission lobt und tadelt regelmäßig die Regierung bei Fortschritten und Versäumnissen.

Klimawandel-Leugner waren in „Leave“-Kampagne aktiv

Auf der anderen Seite hat Boris Johnson als Kolumnist der Zeitung Daily Telegraph noch 2013 mit Thesen gespielt, die den Klimawandel leugnen. Und in der „Leave“-Kampagne versammelten sich prominente „Klimaskeptiker“ wie Michael Gove, Owen Paterson und Lord Lawson of Blaby.

Bisher verpflichteten sowohl nationale Politik als auch EU-Regeln das Königreich zum Klimaschutz. „Diese Verpflichtung fällt nun weg“, warnt Froggatt. Eine konservative Mehrheit im Unterhaus könnte das Klimagesetz ändern.

Richard Black vom Thinktank Energy and Climate Intelligence Unit ist da entspannter: Klimaschutz sei in Großbritannien tief verwurzelt und kaum abzuwürgen: „Das wäre so unpopulär, als wollte man in Deutschland die Atomkraft wieder einführen.“ Für breite Unterstützung sorge auch eine „Bürgerversammlung zum Klimawandel“ mit 110 zufällig ausgewählten Mitgliedern, die noch bis April tagt, um Maßnahmen vorzuschlagen.

Die Klimakonferenz COP26 im schottischen Glasgow im November wird jedenfalls ein Härtetest für den britischen Anspruch auf Führung in der Weltpolitik. Die knapp 200 UN-Staaten sollen sich auf schärfere Ziele verpflichten, bisher ist dazu kaum ein wichtiges Land bereit. Zwar kooperiert Großbritannien eng mit Italien bei der Konferenz, die EU ist also indirekt eingebunden.

Aber beim entscheidenden EU-China-Gipfel im Oktober, der unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft in Leipzig einen Deal der Klimaschutz-Vorreiter bringen soll, sitzt die britische Seite offiziell nicht am Tisch.

Dabei ist Glasgow als Ort der Konferenz gut gewählt: Schottland würde nach Umfragen am liebsten in der Europäischen Union blieben. Und die Region ist auf einem guten Weg, sich ­bereits 2020 zu 100 Prozent mit erneuerbarem Strom zu ver­sorgen.

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