Jugendarbeit in Bremen: Die Farm der Tiere streikt

Seit ihrer Gründung leidet die Kinder- und Jugendfarm unter finanziellen Problemen. Jetzt wurden zusätzlich öffentliche Gelder gekürzt.

Kinder füttern Kaninchen in einem Stall

Paradies für haustierlose Stadtkinder: Die Kinder- und Jugendfarm Foto: Kinder- und Jugendfarm

BREMEN taz | Schwein George läuft schwanzwedelnd übers Gelände. Er hat von dem Frust bei der Kinder- und Jugendfarm nichts mitbekommen. Soll er auch nicht. „Die Sparmaßnahmen sollen nie auf Kosten der Kinder oder der Tiere gehen“, sagt Leiterin Susanne Molis. Seit Gründung der Farm 1984 arbeitet sie hier. Seitdem sei der Erhalt der Farm wegen der schlechten Finanzierung bedroht, sagt sie. Doch noch nie hätten sie deswegen gestreikt. Bis jetzt.

Kommenden Montag wird die Kinder- und Jugendfarm für einen Tag schließen. Vor den Toren werden MitarbeiterInnen, Kinder und FreundInnen der Farm demonstrieren. Bewusst ist ein Ferientag zum Streiken gewählt worden: An solchen Tagen­ kommen sonst aus ganz Bremen Familien zum Reiten, Tiere-Füttern, Pizza-Backen­ und einfach zum Draußen-Sein auf die Farm.

Dass sie nun geschlossen bleibt, liegt an dem Beschluss des sogenannten Controlling-Ausschusses in Obervieland. Dieser entscheidet darüber, welchem Jugendförderverein im kommenden Jahr wie viel Geld zur Verfügung steht. 2020 wird der Kinder- und Jugendfarm insgesamt rund 7.000 Euro weniger zur Verfügung stehen als noch im letzten Jahr. Damit ist die Höhe der Förderung so niedrig wie zuletzt 2015. Seitdem sind die Ausgaben, vor allem für das Personal, allerdings stetig gestiegen.

Dass die öffentlichen Gelder für Jugendarbeit in jedem Stadtteil knapp berechnet werden, ist nichts Neues. Auch nicht in Obervieland. Ortsamleiter Michael Radolla sagt, dass es de facto zu wenig Geld gebe und alle Träger gekürzt würden, die Frage sei nur: in welcher Höhe?

Susanne Molis, Leiterin der Kinder- und Jugendfarm

„An Transparenz fehlt es in diesem Jahr völlig“

Molis ist seit Jahren bemüht, ihre Kosten möglichst gering zu halten: Sie weiß, dass neben ihrer Farm noch die fünf anderen Träger des Stadtteils mit dem kleinen Budget auskommen müssen. Man habe sich auf ein solidarisches Verhalten geeinigt, sagt Molis. „Jeder braucht das Geld und wir werfen uns nicht gegenseitig vor, dass manche anderen etwas wegnehmen, wir sitzen ja im gleichen Boot.“ Insgesamt teilen sich die Träger momentan einen Topf von rund 450.000 Euro. Die Kinder- und Jugendfarm musste in diesem Jahr die größten Kürzungen in Kauf nehmen.

Drei andere Träger des Stadtteils bekamen sogar mehr als im Vorjahr. „An Transparenz fehlt es dem Prozess der Mittelverteilung in diesem Jahr völlig“, sagt Molis. Grund dafür sei auch der veränderte Arbeitsprozess des Controlling-Ausschusses.­

Zum ersten Mal habe man in diesem Jahr anhand von bestimmten Kriterien gearbeitet, dadurch sei der Prozess an „manchen Stellen etwas abgekürzt worden“, sagt Sara Dahnken (SPD) aus dem Beirat Obervieland. Beispielsweise wurde, als ein Kriterium, eine Pauschale für Verwaltungskosten von 2.000 Euro pro Träger festgelegt. Die Kinder- und Jugendfarm allerdings gibt für ihre Verwaltungskraft ca. 20.000 Euro im Jahr aus. Die Stelle muss jetzt zwangsläufig gekürzt werden.

Molis betont, dass sie niemandem eine böse Absicht vorwerfen will. Trotzdem ist sie frustriert. Sie sagt, man schätze die Dimensionen der Farm im Controlling-Ausschuss falsch ein. Auch habe die Farm ganz andere Voraussetzungen als andere Träger, die vom DRK oder der AWO finanziert werden. „Die Farm hat so viele soziale Aufgaben, die in den Zahlen gar nicht auftauchen.“

Beispielsweise beschäftigt die Kinder- und Jugendfarm Ein-Euro-Jobber und „verhaltensoriginelle“­ PraktikantInnen, wie Molis sagt. Sie alle brauchen eine besondere Betreuung und müssen für die Arbeit auf der Farm sensibilisiert werden. Für manche sei es der erste Kontakt mit Arbeit, die auf Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein basiert. Den sozialen und pädagogischen Verantwortungen stehen die finanziellen Engpässe des Projekts entgegen, denen seit Jahren mit eigenen Initiativen entgegengewirkt werden soll: Farmfeste, Flohmärkte, Vermietung der Farm für Veranstaltungen. Doch das alles benötige viel Zeit, sagt Molis. Zeit, die nicht auf Kosten der Kinder oder Tiere gehen dürfe.

Neben den 100 Tieren, die ständig hier leben, kommen jährlich 40.000 BesucherInnen auf die Farm, von denen circa 120 Kinder mehrmals die Woche kommen. Sie alle zahlen, wenn überhaupt, nur einen freiwilligen Familien-Jahresbeitrag von 100 Euro. Doch Molis ist es wichtig, dass die Kosten für die Kinder und ihre Familien nicht erhöht werden. Die Farm soll ein Zuhause für alle Kinder bleiben, unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten.

Molis hofft, mit dem Streik ein Zeichen für das nächste Jahr zu setzen. Ein Zeichen, das nicht nur nach Obervieland, sondern auch an die Bürgerschaft gehen soll: im kommenden Haushalt mehr Geld für Stadtteile und die Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen.

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