Brexit-Sorgen an britischen Unis: Should I stay or should I go?

Ende der Woche verlässt Großbritannien die EU. Die Verunsicherung an den Hochschulen ist groß – trotz der Versprechen aus London.

Eine Studentin und ein Student halten die Eu-Fahne und die britische Fahne und posieren für die Kamera

Erasmus-Studierende für europäische Integration: Flaggenparade am 3. November 2018 in Berlin Foto: Christian Ditsch/imago

LONDON taz | Anfang des Jahres, als das britische Parlament tagtäglich um die Mehrheiten für den Brexit rang, stellte die liberale Abgeordnete Layla Moran einen dringlichen Änderungsantrag zum geplanten Austrittsabkommen aus der EU.

Er sollte die britische Regierung verpflichten, sich bei den bevorstehenden Verhandlungen mit der Europäischen Kommission weiter die Beteiligung an den milliardenschweren Bildungsprogrammen Erasmus+ und Horizon zu beteiligen, mit denen die EU Studierenden kostenlose Auslandssemester und Forscher*innen innovative Forschungsprojekte ermöglicht.

Die Weiterführung dieser Kooperationen hatten Universitäten und Studierende landesweit gefordert. Britische Universitäten, das ist kein Geheimnis, gehören zu den renommiertesten weltweit. Fast eine halbe Million ausländische Studierende hielten sich zuletzt in Großbritannien auf – davon rund 142.000 aus EU-Ländern. Der exzellente Ruf bringt den britischen Unis nicht nur Studierende aus der EU – sondern auch Geld.

Allein aus dem Horizon-Topf fließen 6,37 Milliarden Euro ins Vereinte Königreich. Jedes dritte durch Horizon gefördert Projekt ist britisch. Dennoch blieben die Appelle der britischen Unis an ihre konservative Regierung unerhört. Das Unterhaus schickte Morans Antrag mit Hilfe der neuen Tory-Mehrheit in den parlamentarischen Papierkorb.

London kündigt neue Visa an

Zugleich erklärte der konservative britische Universitätsminister Chris Skidmore aber, dass sein Land zur weiterführenden Kooperation mit der EU durchaus bereit sei. Es hänge eben ganz vom Ausgang der zukünftigen Verhandlungen ab (siehe Kasten). Im Zweifelsfall würde Großbritannien „alternative Arrangements“ treffen – das neue Lieblingswort in London für alle offenen Fragen rund um den Brexit.

Um den Unis wenigstens etwas zu geben, verkündete die Regierung zunächst eine Verdopplung der jährlich erlaubten Anzahl wissenschaftlicher Stipendien mit vereinfachtem Einreisevisum auf insgesamt 120. In einem Sektor mit 940.000 Angestellten ist das – ein Witz.

Das hat London mittlerweile offenbar selbst eingesehen. Am Montag – fünf Tage vor dem EU-Austritt am 31. Januar – kündete die britische Regierung überraschend ein neues Visaprogramm an. Mit den sogenannten Global Talent Visa sollen ab dem 20. Februar Wissenschaftler*Innen aus aller Welt unkompliziert einreisen können. Ein ähnliches Programm war bisher auf 2.000 Visa beschränkt, diesem fehlt eine Obergrenze.

Für viele Wis­sen­schaft­ler*innen, die derzeit in England, Wales, Nordirland oder Schottland forschen, ist diese Ankündigung von großer Bedeutung. Die Hälfte aller Wis­sen­schaftler*innen in Großbritannien sind EU-Bürger*innen. Wie die Arbeitserlaubnis künftig geregelt sein wird, steht noch in den Sternen. Fest steht bislang: Kommt es zu keinem Übereinkommen mit der EU, gilt ab 2021 ein Punktesystem, nach der Großbritannien die Zuwanderung steuern möchte.

EU-Bürger*innen gehen

Und das sorgt an den britischen Hochschulen für Verunsicherung. So vermerkt die Russel Gruppe, ein Zusammenschluss der 24 britischen Elite­universitäten, dass die Anzahl europäischer Aka­de­mi­ker*innen im Land wegen des Brexit bereits um 11 Prozent gesunken sei. David Thomas, Rektor der Bangor University in Wales, hofft, dass die Regierung die Sorgen der Universitäten ernst nimmt. Für Thomas steht nicht nur die Finanzierung, sondern auch die „akademische Kultur“ auf dem Spiel.

„Nachdem ich in Großbritannien promovierte, verbrachte ich meine Postdok-Zeit in Deutschland, Finnland und Dänemark. Für mich und meine Familie waren die Ortswechsel vollkommen problemlos.“ Thomas befürchtet, dass die Hürden, die der Brexit mit sich bringt, etwa beim Aufenthaltsrecht oder der Sozialversicherung, die akademische Freizügigkeit einschränken – und Wissenschaftler*innen aus dem Ausland abschrecken könnte.

Keine einzige britische Universität befürwortete den Brexit, sagt Vivienne Stern. Stern weiß, wovon sie spricht. Als Direktorin des Zentralverbands britischer Universitäten vertritt sie 136 Hochschulen. Stern fordert, dass die akademischen Beziehungen mit Europa weitergeführt werden. Zwar würden fast alle bestehenden Programme wie Horizon 2020 zunächst weiterlaufen, besonders wichtig sei jedoch eine frühe Entscheidung bezüglich weiterer Kooperationen.

„Die nächste Phase von Horizon steht bevor. Wenn wir nicht von Anfang mit von der Partie sind, können wir dieses Programm nicht mitbeeinflussen“, warnt Stern. Was wissenschaftliche Werte und Freiheiten betreffe, sei die Zusammenarbeit innerhalb Europas besonders zu schätzen. Immerhin, glaubt Vivienne Stern, hätte der Brexit der Regierung dies vor Augen geführt.

Übergangsregelung für EU-Studierende

So hat die britische Regierung schon angekündigt, dass alle Studierenden aus EU-Ländern, die bis zum Wintersemester 2020/21 ein Studium in Großbritannien beginnen, weiter zu den derzeitigen Konditionen zu Ende studieren können. Sehr zur Erleichterung auch vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD).

Bis zum Ende der nächsten Laufzeit spätestens 2022 ändere sich nichts, erklärt DAAD auf seiner Internetseite. Studierende, die sich für einen Großbritannien-Aufenthalt entschieden haben, erhalten in jedem Fall weitere Förderung. Für die Programmgeneration 2021 bis 2027 müsse aber eine dauerhafte Lösung her.

Zumindest für eventuelle Finanzierungslücken an britischen Unis (und anderswo) hat Premier Boris Johnson vorgesorgt. 4,3 Milliarden Pfund hat seine Regierung dafür bereitgestellt. Für britische Universitäten beginnt dennoch eine Zeit der finanziellen Unsicherheit. Für etwa 20 britische Hochschulen machen EU-Zuschüsse mehr als ein Drittel ihrer Forschungsgelder aus. An der walisischen Bangor University sind es gar 44 Prozent.

Die Unsicherheit, wie es nach dem Brexit weitergeht, spüren jedoch nicht allein die Universitäten, sondern auch die weiterführenden Schulen. Julian Gravatt, der stellvertretende Chef der Association of Colleges, erklärt, dass Erasmus+ auch für sie eine Rolle spielt. Ohne dem EU-Programm könnten nur 6 Prozent der insgesamt 248 Colleges im Verband Auslandsaufenthalte für ihre Schüler*innen anbieten.

Auch Schulen vom Brexit betroffen

Gravatt beklagt, dass in den Brexit-Überlegungen der britischen Regierung die Bildung so gut wie nicht vorkommt. „Es wird viel über Waren und Sektoren wie der Fischerei diskutiert.“ Für die Schulen gehe es aber um Mitarbeiter*innen, Schüler*innen, Auszubildende. Sie und ihre Familien seien direkt vom Brexit betroffen und damit auch die Schulen.

„Ein Ende des Erasmus+-Programms würde vor allen ärmeren Schüler*innen der Arbeiterklasse mit weniger Ressourcen schaden“, glaubt Caoimhe Mader McGuinness, Mitglied der Lobbygruppe Unis Resist Border Controls (Unis gegen Grenzkontrollen). Das einzige Positive bisher sei bisher die Erweiterung von Arbeitsmöglichkeiten nach dem Studium für Nicht-EU-Ausländer auf zwei Jahre gewesen. Die frühere Premierministerin Theresa May hatte dieses Aufenthaltsrecht von einst drei Jahren auf vier Monate zusammengestrichen.

Unsicher ist auch, wie hoch die Uni-Gebühren für EU-Studierenden nach 2020 sein werden. Derzeit liegt die Höchstgrenze für sie in England und Wales bei umgerechnet 11.000 Euro pro Jahr, genauso hoch wie für Briten (in Schottland fallen für das Studium hingegen keine Gebühren an). Studierende aus nicht EU-Staaten zahlen bis zu dreimal so hohe Gebühren. Manche ausländischen Hochschulen – wie zum Beispiel die TU Darmstadt – verhandeln nun einzeln mit britischen Unis über die Höhe der Studiengebühren nach dem EU-Austritt.

Der britische Studierendenverband NUS ist dennoch alarmiert. Er zitiert eine Meinungsumfrage unter internationalen Studierenden, wonach 36 Prozent der Befragten angaben, wegen des Brexit eher nicht in Großbritannien studieren zu wollen.

Erasmus: „lebenswichtig“

Laut der NUS-Trans-Sprecherin Eden Ladley würde ein Ende von Erasmus+ auch besonders LGBTQ+-Studierende treffen, weil das Austauschprogramm ihnen bessere Möglichkeiten gebe, ihre Sexualität und Identität andernorts auszukundschaften. „Meine eigene Zeit als Erasmus-Studentin in Paris erlaubte mir in einer der großen Städte der LGBT+-Kultur zu leben, was für mich lebenswichtig war.“

Es gibt aber auch andere Stimmen. So bezeichnete neulich die Kolumnistin Madeline Grant im konservativen, Brexit-freundlichen „Daily Telegraph“ die Ziele von Erasmus+ als „eher imperialistisch als bildungsorientiert.“ Gibt es demnach begrüßenswerte Seiten des Brexit für britische Unis?

Uni-Rektor David Thomas muss erst nachdenken, bevor er eine Antwort gibt. „Unsere Spezialisierung im Umweltschutz und Agrarbereich.“ Großbritannien beabsichtigt in Zukunft, Agrarbetriebe und Landwirte für Naturschutzmaßnahmen zu belohnen. Außerdem wird es zu einer Ausweitung der britischen Fischereizone kommen.

„Wenn es um wissenschaftliche Forschung in diesen Bereichen geht, sind wir die richtige Adresse“, glaubt der Uni-Rektor aus Wales und stellt dennoch klar, dass er ein Remainer war.

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