heute in hamburg
: „Wir glauben, es fehlt am Willen“

Foto: Asmus Henkel

Ulrich Hentschel, 69, ist Pastor im Ruhestand und engagiert sich in der Initiative "Gedenkort Stadthaus".

Interview Thilo Adam

taz: Herr Hentschel, wie viele Quadratmeter braucht man, um angemessen an Nazi-Verbrechen zu erinnern?

Ulrich Hentschel: Angemessen wäre sicher ein ganzes Haus. Das ist im Falle des Stadthauses natürlich unrealistisch. Es gibt aber eine Schamgrenze. 50 Quadratmeter ist einfach unwürdig, um an die Gestapo-Zentrale in diesem Gebäude zu erinnern, an Folter und Terror.

Die gestern eröffnete Gedenkstätte im „Lesesaal“ gibt sich aber Mühe: Man kann sich tief in digitale Dossiers versenken …

Ich bin mir sicher, dass dort technisch alles auf dem neuesten Stand ist. Aber es hat ja nicht mal angemessen Platz für Gruppen. Die Ausstellungsecke ist versteckt in einer privaten Buchhandlung, das Café darin ist etwa gleich groß. Ich halte das für respektlos.

Ist das nicht eine Chance, Menschen anzusprechen, die vorbeibummeln?

Aber warum bietet man dann die kleinstmögliche Lösung? Erinnerung an diese Zeit und diese Verbrechen muss Irritationen hervorrufen. Die kann man nicht konsumieren, wie eine Gemäldegalerie. Wenn wir Erinnerungskultur privatisieren – wie können wir garantieren, dass ständig seriöse inhaltliche Betreuung für die Gäste da ist? Bei jedem anderen Thema würde man sich sträuben, das mit so einer kleinen Fläche abzuspeisen.

Was schlagen Sie vor?

Der Raum nebenan, die ehemalige „Wagenhalle“, steht seit langem leer. Die ließe sich mieten. Dann könnte man auf 700 Quadratmetern intensiv aufarbeiten, wie damals mitten in der Stadt Polizisten, Sekretärinnen und Beamte für den Nazi-Terror-Apparat gearbeitet haben; wie Menschen malträtiert wurden. Als man damals den Vertrag mit dem Investor gemacht hat, war diese Flächengröße für den Gedenkort eigentlich auch vereinbart.

Woran scheiterte es?

Am Geld kann’s nicht liegen. Die Stadt will ja 15 Millionen Euro ausgeben, um an anderer Stelle das Bismarck-Monument zu sanieren. Wir glauben, es fehlt am Willen: Dort, in zentraler Lage, im Luxusquartier, stört Gedenken einfach.

Dafür soll in Fuhlsbüttel großflächig an den Widerstand gegen den NS erinnert werden.

Wir dürfen das Geschehen nicht nur am Stadtrand dokumentieren. Alles ereignete sich mitten in der Stadt: die Verhaftungen, die Folter – und das Bürgertum kaufte nebenan ein.

Protestaktion der Initiative Gedenkort Stadthaus: 16 Uhr, Stadthausbrücke 6