Rotzfrech gemischte Tänze

Die Komische Oper lässt die vergessenen „Frühlingsstürme“ von Jaromír Weinberger wiederentdecken, die Deutsche Oper taucht Benjamin Brittens Elfen in Grau

Zwischen den Fronten des japanisch-russischen Krieges fliegen auch Drachen durch die „Frühlingsstürme“ Foto: Marcus Lieberenz

Von Niklaus Hablützel

Eine riesengroße Kiste aus Holz steht auf der Bühne der Komischen Oper, verriegelt und vernagelt. Man möchte gar nicht wissen, was sie enthält. Sie klappt dann aber ganz von selber auf, und zu sehen ist der Generalstab irgendeiner Armee. Militärs sitzen um einen Tisch herum, einer legt die Karte aus, Stefan Kurt, der Schauspieler, schiebt Fähnchen hin und her, der Feind ist erledigt, die anderen stehen stramm und marschieren ab zur Schlacht.

Stefan Kurt wird uns noch viel Freude machen an diesem Abend, aber bis dahin werden Stunden vergehen, in denen es wenig zu lachen gibt. Der Krieg des Operettengenerals ist natürlich nur ein Operettenkrieg, aber anders als etwa bei Offenbach beherrscht er doch die Szene. Es liegt an der Kiste, die ihn ständig in Erinnerung ruft, obwohl er gar nicht zu sehen ist. Zwei Frauen, reife Verführerin die eine, junge Rebellin die andere, Spione, Offiziere und der Reporter der Sonntagszeitung aus Deutschland ringen um die Liebe zwischen den Fronten des japanisch-russischen Krieges von 1904. Sie müssen endlos viel Text sprechen. Hilflos zappeln sie dazu mit viel zu großen Gesten herum, bis sie auch mal singen dürfen.

Das können sie viel besser, und schon sind wir in einer anderen Welt. Zu hören ist dann Musik, die über die Konventio­nen der Operette hinausgeht. Große Arien entfalten weit ausholende Melodien, dazwischen spielt das Orchester rotzfrech zusammen gemischte Tänze aus aller Welt. Ländler, Walzer, Cancan, Tango, Foxtrott und Swing prallen auf engstem Raum zusammen, durchdringen sich in einem virtuos instrumentierten Rausch der Fröhlichkeit. Ja, auch die Einflüsse sind zu hören, es klingt manchmal nach Puccini und Lehár, aber es ist nie nur nachgemacht, sondern selbstbewusst eingesetzt mit absolutem Gefühl für Form und Stil.

Um zu verstehen, warum ausgerechnet Barrie Kosky dieser Musik so wenig Raum gibt, muss man das Programmheft zur Hand nehmen. Dieses „Operette“ genannte Meisterwerk war verloren. Es ist 1933 im Berliner Admiralspalast uraufgeführt worden, besetzt mit Bühnen- und Kinostars dieser Zeit. Das Publikum war begeistert, aber auf den Straßen marschierten die Nazis. Es war das Ende jeder Kultur in Deutschland. Jaromír Weinberger war ein Prager Jude und wanderte rechtzeitig aus in die USA. Er war ein Wunderkind am Klavier gewesen, später Schüler von Max Reger und von seiner 1927 uraufgeführten, zweiten großen Oper sind über 2.000 umjubelte Aufführungen auf sämtlichen großen Bühnen der Welt nachweisbar. Im Exil konnte er daran nicht anknüpfen, er war depressiv geworden und nahm sich 1967 das Leben. Als Musiker war er da längst vergessen und seine „Frühlingsstürme“ erst recht.

Es gibt davon nicht einmal mehr eine Partitur. Überliefert sind nur das Libretto, Regieanweisungen und ein Klavierauszug. Norbert Biermann, Pianist und Arrangeur, hat versucht, die wahrscheinliche Instrumentierung wieder herzustellen, gestützt auf wenige Schellack-Aufnahmen einzelner Arien.

Es ist ihm sehr gut gelungen, wie zu hören ist, zu spüren ist aber immer noch, wie schwer die Erinnerungsarbeit war. Kosky nimmt diese Aufgabe bekanntlich sehr ernst. Er hat Paul Abraham spektakulär auf die Bühne zurückgeholt, für Weinberger jedoch blieb nur ein hässlicher Kriegskasten übrig. Er hält die Figuren gefangen, auch Otto Pichlers Tanz­szenen wirken gehemmt und eingeschlossen. Nur Stefan Kurt bricht aus. Ganz alleine, ohne Text und Musik, spielt er den General, der die Geliebte erwartet. Sitzt die Uniform? Auch im Schritt? Die Blase muss geleert werden, die Frisur geglättet. Es dauert nur wenige Minuten und ist so unwiderstehlich komisch, dass man vor lauter Lachen alles andere vergisst.

Zu spüren ist immer noch, wie schwer die Erinnerungsarbeit war

Auch am Sonntag danach ging es um ein ernstes Anliegen. Dunnald Runnicles, der Chefdirigent der Deutschen Oper, möchte möglichst alle Opern seines Landsmanns Benjamin Britten aufführen. Er liebt diese Musik sehr, was man verstehen kann. Warum man aber Brittens Version des Sommernachtstraumes von Shakespeare, die er jetzt dirigiert hat, nicht vergessen darf, ist nicht zu erkennen. Schuld daran ist die Inszenierung von Ted Huffman. Bei dem jungen Amerikaner ist alles grau. Graue Wolken, graue Elfen in Einheitsuniform, grauer Oberon, graue Titania mit Gelhaar und Schnurrbart – beide.

Britten hat unter Zeitdruck passende Musik für die Sänger Peter Pears und Alfred Deller zusammengeschrieben, um mit ihnen sein Privattheater in Aldeburgh zu eröffnen. Unter Runnicles klingen Orchester und Stimmen allesamt gediegen und klar, aber so trost- und freudlos kann die Uraufführung von 1960 einfach nicht gewesen sein. Etwas Erinnerungsarbeit hätte gutgetan.

Warum brauchen Shakespeares Handwerker für ihre Tragödie jetzt überlebensgroße Puppen? Wir erinnern uns lieber daran, dass einer so genial war, ganz alleine eine Wand zu spielen. Wie Stefan Kurt halt. Der fehlt hier sehr.

„Frühlingsstürme“, Komische Oper, wieder 29. 1.; 8./13./23. 2.

„A Midsummer Nights Dream“, Deutsche Oper, wieder 29. 1.; 6. + 22. 2.