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Prüfung mit Plastikbaby und Robotermutter

Wer Hebamme oder Entbindungshelfer werden möchte, muss ab diesem Jahr studieren. Mehrere Städte im Norden bieten bereits Bachelor-Studiengänge an, ab Oktober auch Hamburg. Durch die Akademisierung soll der Beruf attraktiver werden. Aber stimmt das?

Wer hilft bei der Geburt? In Hamburg entsteht ein neuer Hebammen-Studiengang Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Von Sabrina Winter

Eine Roboterpuppe presst ein Plastikbaby aus ihrer Vagina. Welche Komplikationen gleich auftreten, wurde schon vor der Entbindung programmiert. Nun muss eine Hebamme der Roboterpuppe helfen, ihr Baby auf die Welt zu bringen. So oder so ähnlich kann eine simulierte Geburt ablaufen. Die Roboterpuppe ist ein Geburtssimulator. An ihm werden in Hamburg künftig Hebammen ihr Handwerk lernen und üben. Und das ist nicht das Einzige, was sich ändert.

Ab Oktober bekommt Hamburg den neuen Studiengang „Hebammenwissenschaft“. Mit dem Wintersemester 2020/21 setzen sich 60 Studierende wissenschaftlich und praktisch mit Schwangerschaft, Geburt und allem Drumherum auseinander. Die Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) und das Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) bieten den dualen Bachelorstudiengang gemeinsam an. Dafür entstehen insgesamt acht neue Professuren. Die Praxis lernen zukünftige Hebammen und Entbindungshelfer in Geburtshäusern und Lehrkrankenhäusern.

Das Ziel: mehr Hebammen

Natürlich trainieren sie dabei nicht nur mit Robotern, sondern begleiten auch Schwangere. Wer das duale Studium erfolgreich absolviert, bekommt nach sieben Semestern neben dem Titel „Bachelor of Science“ auch einen staatlich anerkannten Berufsabschluss. Ab 2023 soll es sogar 180 Studienplätze für die Hebammenwissenschaft geben. Dann zahlt die Hamburger Wissenschaftsbehörde 3,75 Millionen Euro im Jahr für den Regelbetrieb des Studiengangs.

Durch die Akademisierung soll der Beruf attraktiver werden. Außerdem hoffen Behörden und Hochschulen, dass es bald mehr Hebammen in Hamburg gibt. „Die Ausbildungskapazitäten erhöhen sich von bislang 44 Ausbildungsplätzen auf 60 Studienplätze“, sagt Katharina Jeorgakopulos, Sprecherin der HAW. „Es zeichnet sich auch ab, dass im bundesweiten Durchschnitt mehr Studienplätze geplant werden, als bislang Ausbildungsplätze angeboten wurden.“ Es werde sich zeigen, ob auch nach dem Studium mehr Hebammen in Hamburg und Umgebung arbeiten.

Jeorgakopulos von der HAW stellt heraus, dass zukünftige Hebammen „das Tätigkeitsfeld kontinuierlich wissenschaftsbasiert reflektieren und den Wissenskanon der Hebammenkunde erweitern.“ Auch die Berufschancen ändern sich: Neben herkömmlichen Tätigkeiten können Hebammen in Zukunft an Hochschulen lehren und forschen. Außerdem soll die Qualität der Versorgung werdender Eltern steigen.

Studien belegen: Je besser Hebammen ausgebildet sind, desto besser können sie Frauen begleiten, ihnen helfen und mit Komplikationen umgehen. Doch dafür braucht es mehr als den Hochschulabschluss. Auch andere Faktoren sind entscheidend. So müssen Hebammen in das Gesundheitssystem eingebunden sein und im Idealfall Frauen eins zu eins betreuen. Ist das gegeben, verlaufen Geburten besser.

Die Hürden für Hebammen steigen. Bisher reichte ein ­Realschulabschluss, um die Ausbildung zu beginnen. Doch wer Hebammenwissenschaft studieren will, muss mindestens zwölf allgemeine Schuljahre nachweisen. Das grenzt Menschen mit weniger formaler Bildung von dem Beruf aus. Denn die bisherige Hebammenausbildung wird es nicht mehr geben. Sie wird durch den Studiengang abgelöst. Damit fällt auch die Vergütung weg, die es bisher in der Hebammenausbildung gab. Die CDU-Abgeordnete Birgit Stöver schreibt dazu in einer Anfrage an den Senat: „Dies kann dazu führen, dass der Beruf für junge Menschen nicht attraktiver wird, sondern die Hürde, den Beruf zu erlernen, lediglich erhöht wird.“ Der Senat erwidert, der Anteil der Bewerber*innen mit Abitur liege bei den Asklepios-Kliniken bei 100 Prozent und in anderen Krankenhäusern bei bis zu 60 Prozent.

Hebammen mit Doktor

Auch in anderen norddeutschen Städten kann man Hebammenwissenschaft studieren, zum Beispiel in Osnabrück, Hannover, Buxtehude und Lübeck. Die Medizinische Hochschule in Hannover bietet als einzige im Norden einen Master an. Der Studiengang mit dem Namen „European Master of Science in Midwifery“ wird in englischer Sprache gelehrt.

An fünf deutschen Hochschulen können Hebammen sogar einen Doktor erwerben – darunter Hannover, Osnabrück und Lübeck, wie aus einer Auflistung der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft hervorgeht. Die meisten Hochschulen bieten Hebammenwissenschaft im Bachelor an – oft in Verbindung mit einer Ausbildung, also ein duales Studium wie in Hamburg.

Prüfung mit Roboter

Der Deutsche Hebammenverband zeigt sich mit der Akademisierung zufrieden und schreibt auf seiner Website: „Die Geburtshilfe hat sich, wie alle Bereiche in der Medizin und Pflege, stark weiterentwickelt. Die Vermittlung dieser wissenschaftlichen Grundlagen gepaart mit berufspraktischen Ausbildungsinhalten entspricht einem modernen Ausbildungsstandard, der in vielen Ländern heute bereits praktiziert wird.“

Dass Hebammen künftig einen Hochschulabschluss brauchen, liegt an einer EU-Richtlinie von 2013. Sie hob den Mindeststandard für Hebammen an. Ende 2019 wurde die Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt. 2020 trat eine neue Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen in Kraft. Dort ist festgeschrieben, dass die praktische Prüfung für den Bereich „Geburt“ nicht wie bisher mit einer realen „Examensgeburt“ geprüft wird, sondern in einer Simulationssituation – also anhand der Roboterpuppe.