nicht belehrbar
: Sozialsenatorin weigert sich, junge Obdachlose dezentral unterzubringen

Sozialpolitik spielt in diesem Wahlkampf keine Rolle. Da kann man schon mal strittige Entscheidungen in schicke Neubaupläne verpacken. Die Sozialbehörde teilte in dieser Woche mit, dass Hamburg ab 2021 die über 100 Jahre alte Obdachlosen-Übernachtungsstätte „Pik As“ abreißen und komplett neu bauen will. Ab 2024 soll dann ein neues Haus mit 244 Betten entstehen, mit „Gesundheitsflur“ für Kranke und „Badeland“ für pflegerische Anwendungen.

Doch der Hammer: Im Vorderhaus soll ein Bereich mit 36 Doppelzimmern für 72 „männliche Jungerwachsene“ entstehen. Das sind die 18- bis 27-Jährigen. Und das ist die Nachricht. Denn es heißt nicht nur, dass die Bedenken gegen genau so eine Planung aus der Fachwelt bei Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) auf taube Ohren stießen. Sie traut sich sogar, dies kurz vor der Wahl zu verkünden.

Junge Menschen sollten ihr Erwachsenenleben nicht mit Obdachlosigkeit beginnen. Die Folgekosten sind immens. Dagegen braucht man die richtigen Rezepte. Der „Arbeitskreis Wohnraum für junge Menschen“, die Wohlfahrtsverbände und auch die Linke fordern schon seit Jahren eigene Notschlafstellen für junge Leute, möglichst klein und dezentral in den Bezirken. Oft sind es Jugendliche, die zu Hause rausfliegen oder aus Heimen kommen, und Anspruch auf Unterstützung durch die Jugendhilfe haben.

Und die werden von der Unterkunft für erwachsene Obdachlose abgeschreckt. Die Jugendlichen empfänden diese als „traumatisierenden Ort“, schreibt der Arbeitskreis. Sie seien dort „schutzlos den vorherrschenden Verhältnissen ausgeliefert“. Auch die Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtpflege (AGFW) versucht seit Jahren die Sozialbehörde davon zu überzeugen, dass diese Gruppe aus pädagogischer Sicht zwingend eine separate Notschlafstelle mit überschaubarer Platzzahl braucht. Da die Stadt das ignoriert, bemüht sich die AGFW gar, eine eigene Notschlafstelle zu schaffen.

Sogar die Grünen üben Kritik. „Die Notschlafstelle an Pik As anzugliedern, halte ich für fachlich nicht am sinnvollsten“, sagt deren Sozialpolitikerin Mareike Engels. „Junge Erwachse, die wohnungslos werden, identifizierten sich nicht unbedingt als obdachlos. Da baut man große Hürden auf“, sagt Engels. „Das scheint kein geeignetes Angebot, auch weil der Neubau des Pik As noch einige Jahre dauern wird und nicht für junge Frauen geeignet ist.“

Und nun wird eine falsche Weichenstellung in Form eines Neubaus in Beton verewigt. Oder vielleicht die Notschlafstellen-Frage nach der Wahl noch mal besprochen. Kaija Kutter