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: Die Katastrophe und der Alltag danach

„Mein Leben mit Amanda“ (Original: „Amanda“. Regie: Mikhaël Hers, F 2018).Die DVD ist ab rund 14,99 Euro im Handel erhältlich

Das Attentat selbst sieht man nicht. David (Vincent Lacoste), wie so oft, auf dem Rad, die Kamera verliert ihn kurz aus dem Blick, ein paar Sekunden lang sieht man vorbeiflirrende Bäume, dann plötzliche Konfrontation mit dem Schlachtfeld: Blutende, Verletzte, Sterbende, Tote in einem Park in Paris.

Das ist der einzige Moment, in dem die Gewalt als Einbruch in den Alltag explizit sichtbar wird. Unter den Toten aber ist auch Sandrine (Ophélia Kolb), Davids Schwester. Deren Tochter Amanda (Isaure Multrier) hat die Mutter verloren, ein Vater ist nicht im Bild, es gibt eine Tante (Marianne Basler), David aber ist der, der sich kümmert, selbst trauernd, der Amanda klarmachen muss, dass ihre Mutter nie wieder zurückkommt, der damit selbst klarkommen muss.

Brutaler Einschnitt

Regisseur und Co-Autor Mikhaël Hers zieht den Rahmen ganz eng. Dass es sich um ein islamistisches Attentat handelt, wird am Rande erwähnt. Aber es geht in seinem Film nicht um Politik, sondern um die Auswirkungen des brutalen Einschnitts ins Leben. Und zwar ins sehr junge Leben, es hat alles gerade begonnen. Sandrine war im Park, um ihre Lizenz als Englisch-lehrerin zu feiern. David ist vierundzwanzig, arbeitet als Beschneider von Bäumen und nebenbei als Assistent eines Vermieters. Gerade hat er sich in die neue Mieterin, Léna (Stacy Martin), verliebt. Auch diese Liebe gerät aus der Bahn, denn Léna war im Park, hat eine schwere Verletzung am Arm, will Paris gleich wieder verlassen.

In Hers’ Vorgängerfilm „Dieses Sommergefühl“ starb ebenfalls eine junge Frau, einfach so zusammengesackt auf der Straße, der Film folgte dem Freund, lebend aus seinem Leben gerissen, beim Versuch, sich wiederzufinden in den Straßen von Berlin, Paris und New York. Von der doch etwas unbefriedigenden Koproduktionsbeliebigkeit dieses traumatisierten Flanierens ist in „Mein Leben mit Amanda“ (der Originaltitel lautet, viel besser, schlicht: „Amanda“) nichts mehr zu spüren, auch wenn es am Ende nach London geht, Wimbledon, genauer gesagt.

In ihrem Inneren

Mit Amanda, dem Kind, hat der Film ein ganz anderes Zentrum. Isaure Multrier ist toll gecastet und spielt ihre Rolle hinreißend unsentimental, blond, aber gar nicht niedlich, ein bisschen stämmig, viel beobachtend, wenig sagend. Der Film maßt sich nicht an, zu wissen, was in ihrem Inneren vorgeht, was sie denkt, wie sie das plötzliche Verschwinden der Person, auf die ihr ganzes Leben bezogen war, umgeht.

Man sieht sie in der Interaktion mit David, mit der Tante, mal stur und widerständig, mal hilflos und liebesbedürftig. Sie wacht nachts auf, weinend, mal weinen sie auch gemeinsam, Amanda und David, der hoffnungslos überfordert ist, von allem, und sich doch entscheidet, die Betreuung seiner Nichte zu übernehmen.

Das Schöne an dem Film ist, wie das Gravierende des Verlusts in Alltagshandlungen aufgelöst wird. Der Einbruch von Tod und Gewalt ist ein Drama, die Wirkung erst heftig, dann zusehends kapillarisch, aber genau das Kapillarische ist die Stärke von Hers’ unaufgeregtem, das Beiläufige und im Beiläufigen das Bewegende suchendem Erzählen. Amanda geht weiter zur Schule, David empfängt weiter neue Mieter, er fährt mit dem Rad durch Paris, mal ist er dem Zusammenbruch nahe, Heulkrampf am Bahnhof, mal scheint fast alles wie früher.

Vincent Lacoste, zart, für alles Verletzliche offen, ein wenig passiv, wie sich zum Aktivwerden immer nur selbst überredend, erinnert an manche männliche Figur bei Eric Rohmer. Der Film insgesamt ist Rohmer durchaus nahe, auch in der weißen Bürgerlichkeit seines Milieus. Allerdings harmloser, ohne Bösartigkeit, seinen Figuren einfach nur zugetan, im Schrecklichen tröstlich, aber nicht sentimental.

Ekkehard Knörer