Prozess gegen Kameraüberwachung: Polizei muss nacharbeiten

Die Polizeidirektion Hannover überwacht öffentliche Straßen und Plätze. Michael Ebeling klagt dagegen – mittlerweile vor dem Oberverwaltungsgericht.

Ein Aufkleber "Zur Ihrer Sicherheit wird dieser Bereich mit Videotechnik überwacht" der Polizei Hannover klebt an einer Ampel am Friedrichswall in Hannover.

Ausreichend oder nicht? Aufkleber der Polizei an einer Ampel am Friedrichswall in Hannover Foto: dpa

LÜNEBURG taz | Darf die Polizei in Hannover öffentliche Räume mit Kameras überwachen? Für Michael Ebeling ist die Antwort eindeutig: Nein. Darum klagte er dagegen – vor neun Jahren. „Mich stören die Kameras. Ich lebe in der Stadt und kann die überwachten Bereiche nicht vermeiden“, sagt Ebeling. Zunächst fragte er bei der Polizei an und schrieb offene Briefe. Als das nichts bewirkte, klagte Ebeling 2011. Noch heute wird über die Sache verhandelt – inzwischen auf höherer Ebene.

Dass die Kameraüberwachung der Polizei nicht rechtens ist, hat schon 2016 das Verwaltungsgericht in Hannover entschieden. Daraufhin mussten 56 Kameras ausgeschaltet werden. Das Gericht sah Ebelings Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Nach diesem Grundrecht darf jede Person selbst darüber entscheiden, wie ihre personenbezogenen Daten verwendet werden.

Die Polizei legte Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes ein. Darum wird die Sache nun vor dem Oberverwaltungsgericht verhandelt – mit dem neuen Polizeigesetz als Grundlage. Am Dienstag begann der Prozess.

Michael Ebeling ärgert sich, dass er 2016 nicht selbst Berufung eingelegt hat: „Ich denke, das war ein Fehler. So konnte die Polizei nur geltend machen, was sie interessant fand.“ Jetzt geht es im Prozess um eine Kamera, die dauerhaft den Königswor­ther Platz überwacht, und sieben Kameras, die bei bestimmten Anlässen eingeschaltet werden. Im ganzen Stadtgebiet Hannovers betreibt die Polizei jedoch 22 weitere Kameras, die dauerhaft öffentliche Straßen und Plätze überwachen.

Michael Ebeling, Kläger

„Ich glaube, dass die Polizei Probleme hatte, gute Positionen für die Kennzeichnung zu finden“

Die Polizei ist verpflichtet, die überwachten Bereiche zu kennzeichnen. Bisher hat sie Sticker an Laternenmasten geklebt. Doch diese sind zu klein. Die neuen Schilder sind so groß wie ein Blatt DIN-A4-Papier. Das Problem: Sie passen nicht mehr an die schmalen Pfosten. Michael Ebeling demonstriert das im Gericht: Er hält einen blauen A4-Zettel mit einem weißen Kamera-Piktogramm hoch und rollt ihn so zusammen, als wäre er um einen Laternenpfosten gewickelt. Das Piktogramm verzieht sich bis zur Unkenntlichkeit. Man müsste schon einmal um die Laterne laufen, um auch das Wort „Videoüberwachung“ auf dem Sticker lesen zu können.

„Ich glaube, dass die Polizei Probleme hatte, gute Positionen für die Kennzeichnung zu finden“, sagt Ebeling. Er wendet sich zur Anklagebank und fragt die Polizisten, was sie dahingehend geplant haben. Die Polizei verweist darauf, dass sie noch bis Ende Januar Zeit habe, alle überwachten Bereiche zu kennzeichnen.

Weil die Karte mit den Hinweis-Stickern nicht mit der Karte der Kamerastandorte zusammenpasst, hat Michael Ebeling selbst eine Karte erstellt. Er verteilt sie an Richter*innen und Polizisten und erklärt: „Ich fahre täglich am Königswor­ther Platz vorbei. Also habe ich geschaut, wo ich Kameras sehen kann. Denn dort kann die Kamera potenziell auch mich erkennen.“ Meter für Meter sei er den Platz abgelaufen und habe die Karte immer wieder nachgebessert, erklärt er. Die Polizei tut Ebelings Bemühungen ab: „Das ist ein spekulativer Bereich. Da überschätzen sie unsere Technik.“

Vergleicht man den Beschilderungsplan der Polizei mit dem Sichtbereich der Kamera, fällt auf: Die Räume sind unterschiedlich groß. Rechtsanwalt Sven Adam gibt zu bedenken: „Das heißt, Bürger würden schon viel früher überwacht werden, als sie es wissen.“

Die Polizei hat eine Erklärung für die Abweichung: Sie unterscheidet zwischen einem sogenannten Wirkungsbereich und dem Sichtbereich der Kamera. Der Sichtbereich ist der Raum, in dem die Kamera aufzeichnet. Der Wirkungsbereich umfasst Pfade, Seitenstraßen und Garagen in der Nähe des Sichtbereiches der Kamera. Die Polizei geht davon aus, dass im Wirkungsbereich eine Straftat passieren könnte. Der*die Täter*in dringt nach der Tat mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit in den Sichtbereich der Kamera ein, zum Beispiel wenn er*sie flieht. Doch den Wirkungsbereich filmt die Kamera nicht – angeblich. Rechtsanwalt Adam verweist auf die Legende einer Polizeikarte. Dort steht: Im Wirkungsbereich kann man Menschen identifizieren.

„Das ist ein Widerspruch zu allem, was bisher vorgetragen wurde“, sagt Adam. Der Polizeianwalt knurrt: „Sie nehmen jetzt unsere Legende und sagen, das ist ein Widerspruch.“ Adam erwidert: „Ja, das ist doch das, was Sie eingereicht haben.“

Mehr Straftaten, nur wo genau?

Die Polizei argumentiert, dass die Überwachung nötig sei, weil laut Statistik die Zahl der Straftaten um den Königsworther Platz gestiegen sei. Allerdings ist nicht ganz klar, für welchen Bereich die Zahlen gelten. Schließlich kommen die Beamten selbst durcheinander und können die Fragen der Richter*innen nicht so recht beantworten. Einiges bleibt offen: Was sehen die Kameras? Wo wirken sie? Wie wäre die Beschilderung richtig? Worauf bezieht sich die Zahl der Straftaten?

Außerdem kommt während der Verhandlung heraus: Es gibt jährliche Prüfberichte für alle Kameras in Hannover. „Warum sind die Prüfberichte nicht in der Akte? Das ist doch Streitgegenstand“, fragt Rechtsanwalt Adam. Der Vorsitzende Richter Muhsmann gibt ihm Recht: „Die Prüfberichte wären sinnvoll gewesen zum Verständnis des Zahlenwerks.“

Nach kurzer Beratung des Gerichts erklärt Muhsmann: „Nach unserer Beratung sind viele Fragen offen. Wir haben unterschiedliche Karten, aber keine ist so richtig aussagekräftig.“ Darum soll die Polizei nun Pläne nachreichen und das Gericht unaufgefordert über den aktuellen Stand der Kennzeichnung informieren. Der Prozess ist vertagt – und die Überwachungskameras in Hannover filmen erst mal weiter.

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